Frühlingserwachen à la Renaissance

Tanztheater Verena Weiss mit „Amarillis my Love“ in Luzern

Luzern, 12/12/2008

Auf der Bühne geistern fünf Frauen herum, in langen schwarzen Umhängen, die gerade noch einen Augenschlitz freilassen. Befinden wir uns im Iran? Wohl kaum. Eher handelt es sich um dicht verhüllte Nonnen. Aufs christliche Europa und vergangene Jahrhunderte weist auch die Musik hin: Joel Frederiksen (Laute, Gesang) und Domen Marincic (Viola da Gamba) spielen Weisen aus Renaissance und Frühbarock.
Und wie sie spielen! Schon allein der Lautenspieler und Bassist Frederiksen könnte einen Abend bestreiten. Er singt italienische und englische Lieder von Giulio Caccini bis Thomas Campion, entstanden im 16. und 17. Jahrhundert. Vorwiegend Liebes- und Sehnsuchtslieder, entsprechend dem Titel „Amarillis my Love“ – die Amarillis-Pflanze mit ihrer Blüte gilt als Symbol einer angebeteten Frau. Frederiksens Stimme klingt abgrundtief, gleichzeitig aber so warm und klar, dass sie schon als „Koloraturbass“ bezeichnet wurde.

Choreografin Verena Weiss lässt die „Nonnen“ bald einmal unter ihren Stoffhaufen verschwinden. Heraus steigen fünf Tänzerinnen in leichter Kleidung. Sie lösen ihr Haar, beginnen die Bühne zu erkunden, zögernd erst, dann immer weiter ausholend. Kleine Schrittchen auf nackten Füssen wechseln ab mit fast athletischem Gleiten über den Boden oder ausgefallenen Körperhaltungen: So kippt eine der Frauen ihren Kopf so hartnäckig nach hinten, als wäre er falsch am Körper angewachsen.

Inzwischen haben auch vier Tänzer von der Bühne Besitz ergriffen, auf der Suche nach sich selbst und dem anderen Geschlecht. Ein verspielt-kämpferisches Trio erinnert an Romeo, Mercutio und Benvolio auf dem Marktplatz von Verona. Ein anderer Mann lässt seine imposanten Muskeln spielen, als stehe er einem Bildhauer Modell. Liebespaare finden sich; Tänzerinnen und Tänzer beschnuppern einander, finden zusammen und trennen sich. Eine Art Frühlingserwachen à la Renaissance. Hauptrolle spielen dabei die Frauen, deren Ausdruck individuell wechselt: von ängstlich zu mutig, von schüchtern zu keck, von verspielt zu streng.

Zwischen die Handlungsszenen schieben sich Tanzmomente von grosser Intimität. „Amarillis my Love“ ist ein oft heiteres, aber auch melancholisches Stück. Das passt zur erst kürzlich bekannt gewordenen Nachricht, dass Verena Weiss nach fünf Jahren das Theater Luzern verlässt. Verlassen muss.

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