Wind der Eindeutigkeit

Eva-Maria Lerchenberg-Thöny choreografiert „Bluthochzeit“ und „Yerma“ von Lorca

Braunschweig, 02/11/2008

Hier weht der Wind der Eindeutigkeit: Frauen werden unterdrückt, ihre Wünsche nicht erfüllt. Als Vorlage dafür wählt Eva-Maria Lerchenberg-Thöny zwei Dramen von archaischer Wucht aus der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts: „Bluthochzeit“ und „Yerma“ von Federico Garcia Lorca (1898-1936), dessen „Bernada Albas Haus“ auch eine beliebte Vorlage für Choreografien ist. Im Kleinen Haus des Braunschweiger Staatstheaters lässt sie beide tragisch gefärbten Stücke an einem Abend hintereinander laufen. Kein Platz für Entspannung. In gewissermaßen gerader Linie entfalten sich die Schicksale der Braut, die in Bluthochzeit zwangsverheiratet werden soll, aber ihrem Liebhaber Leonardo sich hingibt, und der Frau Yerma, deren Kinderwunsch vom Ehemann Juan und dessen zwei Schwestern rüde abgeblockt wird. Holzschnitthaft sind die Figuren als Archetypen gezeichnet, nicht als Individuen dargestellt.

Lerchenberg-Thönys choreografisches Repertoire erschöpft sich schnell in der Wiederholung ähnlicher Bewegungen, die ziemlich beliebig auf die Protagonisten verteilt werden. Sie hat unter anderem eine Vorliebe für die Arabesque (mit Promenade, auch im Penchée bis zur total nach oben gekippten Spielbeinform), für Rond in Attitude von vorn zur Seite, die Arme öffnen sich mit, die seconde-Stellung des gehobenen Spielbeins, die gekrümmte Körperhaltung zum Boden hin. Paradoxerweise wirkt das Material in dem Sinn harmonisch, dass im Körper kaum je etwas gegeneinander läuft als Ausdruck behaupteter inneren Kampfes, von Verzweiflung, Resignation, explosiver Leidenschaft. So bleibt das Geschehen äußerlich, bricht nur aus in tieferen Ausdruck bei der schönen Brasilianerin Adriana Rodrigues de Souza, deren Persönlichkeit über die Untiefen der Choreografie trägt. Sie schafft es als Yerma nicht nur, tänzerisch die unmotivierten Brüche der Bewegungsabläufe zu einer Entwicklung zu phrasieren, Übergänge zu zeichnen, sie gestaltet auch dramatisch intensiv, ohne zu überziehen. Etwa, wenn sie im sehnsuchtsvollen Wunsch nach einem Kind alle Scham fallen lässt und sich mehrmals ihrem Gatten Juan (Jiri Kobylka: sehnig, ausgedörrt) anbietet, der seine attraktive, erotisch anziehende Frau immer wieder zurückweist, aggressiv unterstützt von seinen Schwestern (Aya Sone, Kira Wortmann, grob bösartig bis zum Schlagen eines Kindes, das auf Yerma zugeht).

Lerchenberg-Thöny würzt die Szene mit einem wiederkehrenden Wallfahrtszug, gekleidet wie Ku-Kux-Klan-Mitglieder, aus deren Mitte sich zweimal ein Paar schält, nur mit fleischfarbenen Slips bekleidet. Es führt Yerma wie zum Hohn den fruchtbaren Geschlechtsverkehr vor: ein aufgesetzter Effekt. Allein mit ihrer Bühnenpräsenz beglaubigt de Souza das Aufbäumen und schließlich Resignieren einer Frau, der der Kindeswunsch versagt bleibt, die dadurch isoliert wird in der Gesellschaft, in der sie ohne Kind wenig Wert hat: Sie sitzt am Ende einsam, aber stolz auf einem unfruchtbaren Sandhügel, nachdem sie ihren Mann nach seiner letzten Weigerung zur Vereinigung erdrosselt hat. Scharf konturierte Dorfblasmusik und Werke von Bert Breit (1927-2004 - welche durchaus anhörbaren Stücke es sind, wird nicht angegeben, sie weisen Einflüsse von Béla Bartók und Frank Martin auf) wählte Lerchenberg-Thöny zu „Yerma“.

Tangos von Astor Piazolla, geistliche Gesänge von Tomas Luis de Victoria (um 1548-1611) und spanische Orgelmusik – wiederum ohne Angaben zu den Titeln und Interpreten – geben bei der „Bluthochzeit“ den Ton an. Handlungsort ist hier das Innere einer Kirche, links brennen Kerzen, rechts hockt ein altes Weib, eine Art Schamanin, verkörpert von einem Mann (Irineu Marcovecchio), sie zitiert später Texte (von Lorca?) mit starkem Akzent, was für mich unfreiwillig komisch wirkt. Salvador Dalis Christus, am Kreuz hängend in kühner Perspektive aus der schrägen Obersicht, wird auf der Rückwand riesig abgebildet. Treffen sich Liebhaber Leonardo (Gino Abet) und namenlose Braut (Sandra Munoz Lopez), gibt Lerchenberg-Thöny ein überdeutliches Zeichen: Der Bühnenboden färbt sich rot. Lopez müht sich vergebens, mehr als blasses Opfer einer Zwangsheirat zu sein, ihr Ausbruch aus der eisernen Konvention wirkt ebenso unglaubwürdig wie ihre Leidenschaft. Die Hebung vor Abets Brust mit weiter Rückbeuge von ihr bleibt Hebung, nicht ekstatischer Orgasmus. Abet wirft zwar glühende Blicke auf seine Geliebte, sein Tanzen leidet jedoch an Kurzatmigkeit, schafft keine Bindung zwischen den Posen. So bleibt selbst der Kampf zwischen den Rivalen Leonardo und Bräutigam (brav: Marc Cloot) Stückwerk, strahlt nicht das Tödliche eines Duells aus. Was auch an der mageren Choreografie liegt. Lerchenberg-Thöny vermag selbst dort keinen Furor entwickeln, wo das sehr heterogene Ensemble im Block das sündige Paar attackiert, getrieben vom Rhythmus aufstampfender Füße. Die Bedrohung gewinnt nicht körperliche Wucht. Ihre Bluthochzeit erstarrt in Blutleere.

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