In der Schaubühne seziert Falk Richters „Trust“ Individuum und Gesellschaft

Die Suche nach Verbindlichkeit

Berlin, 15/10/2009

An der Wallstreet, melden die Medien, herrsche schon wieder Alltag. Ranghohe Banker spekulieren riskant wie vor der Krise. Die Politik rettet mit Volkes Steuern deren Verursacher, statt sie zur Kasse zu bitten, predigt Krisenbewältigungsoptimismus. Lediglich zur Verstaatlichung systemwichtiger Banken findet sie sich bereit, beteuernd, dies sei kein Einschwenken auf sozialistische Positionen. Wut bleibt dem Bürger ob seiner Machtlosigkeit. Genau da setzt Falk Richter ein, gibt als Autor diesem Gefühl an der Schaubühne sprachliche Form unter dem doppeldeutigen Titel „Trust“. Weil sich Wut bisweilen besser in Bilder als in Worte fassen lässt, hat er als Regisseur die niederländische Choreografin Anouk van Dijk ins Boot geholt. Dort sitzen vier Tänzer und fünf Schauspieler mit dem Zorn der jungen Generation und verstricken sich in schier aussichtslose Versuche, diese Zeit zu begreifen, ihren Figuren eine Zukunft abzuringen.

Das gleichnishafte Boot ist in Katrin Hoffmanns Entwurf ein düster verstrebtes Metallgerüst hinter flacher Szene, auf der neben Stühlen ein präsentables Ledersofa das Zentrum bildet. Die Darsteller stehen, sitzen, räkeln sich, rutschen aneinander ab, finden keinen Halt. Wie eine öffentliche Verlautbarung stammelt eine Frau im Dialog mit einem fiktiven Partner ins Mikrofon, was sie auch tun würde, gehen oder bleiben, es würde nichts ändern. Zehn Jahre seien sie zusammen, aus der Balance geraten, was Tänzerpaare nachvollziehen. Alles sei kompliziert, es wäre daher das Beste, nichts zu ändern. Willenlos tropfen die Tänzerinnen von ihren Partnern ab. Die nächste Sprecherin wird konkreter: Ich kann deine Bewegungen nicht lesen, nicht mehr verstehen, was dein Körper erzählt. Auch der Mann stimmt ein: Wir verstehen uns nicht, aber bleib. Hilflosigkeit hat die Beziehung ausgehöhlt, die Welt steht so Kopf wie eine Frau im Yogastand. Und so wie die politische Weltsituation. In deren Analyse steigert sich sturzflutartig ein Monolog hinein, der mit dem Streit eines Paares beginnt. Doch die gesellschaftliche Unsicherheit verunsichert, zerstört auch private Bindungen, zumal jener Kai am sechsten Band einer Reihe arbeitet. Was kommt nach dem Zusammenbruch des High-Tech-Kapitalismus, fragt er darin angstvoll: Kollabiert das System oder treten zyklische Krisen künftig „nur“ in kürzeren Abständen auf? Vorstandschefs seien jetzt erfolgreicher in der Zerstörung des Schweinesystems als damals die RAF, die man in den Führungsetagen wähnt, eifert er verblüffend spitzfindig.

Aus der Spannung zwischen der Unfähigkeit, Liebe zu leben, und der scharfsinnigen Beschreibung eines fragwürdigen Wertekanons, wie sie sich in so poetischen wie absurden und gewalttätigen Texten artikuliert, bezieht das Stück enorme Brisanz. Partner nehmen einander nicht mehr wahr, wissen nicht, ob sie sich vor drei Wochen getrennt haben, in 14 Jahren nur drei Wochen zusammen waren oder überhaupt verheiratet sind. Immer wieder geht es, oft grotesk zugespitzt, um den Verlust von Vertrauen: in den Menschen neben sich und in jene Konzernform, die stetig mehr Machtkonzentration erstrebt. Als Folge davon erfasst die Menschen totale Lethargie, die aus den Fugen geratene Welt tötet erst menschliche Bindungen, dann den Menschen selbst. So beklagt eine Frau die Vertragsgeilheit ihrer Lover, die sich nur mit finanziellen Sicherheiten auf eine Affäre einlassen. Geld lebt ohne uns weiter, gipfelt ein Text, denn der unbenutzt gelassene Golfplatz steigert eben dadurch seinen materiellen Wert. Geld gegen Leben einzutauschen, wünscht sich eine Frau, will fort, weil sie zu einem Mann keine Beziehung hat – außer dass er ihr Freund ist. Fondspakete schnüren und dann sprengen wäre ihre Vision. Das getrennte Paar vegetiert gefangen in gemeinsamer Einsamkeit, die Welt verändern wollte er, ist in der Anpassung gestrandet. Per Leiter fliehen aus der Welt möchten alle, doch die Frage nach dem Wohin lässt sie stoppen. Der gleiche Tanz oben auf dem Gerüst wie unten auf der Szene: bis ein Schrei ihn jäh stoppt.
Fast zwei Stunden läuft die empörte Untergangsprophetie durch, verschränkt Text und Tanz zur einander ergänzenden Synthese im Aufbegehren gegen die Ohnmacht des Einzelnen, gegen Deformation und Politwillkür. Wieder mehr Verbindlichkeit im Mikrokosmos wäre ein Anfang. Auch dafür werfen sich die acht exzellenten Akteure vehement ins Zeug, begleitet von Malte Beckenbachs trügerisch friedvoller Live-Musik. Mehr kann Theater kaum leisten.

Wieder 19.10., 20.-22., 24.+25.11.,

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