Nicht fragen. Hinsehen!

Ein gemischter Abend mit Choreografien von William Forsythe eröffnet die Dresdner Saison der Forsythe Company in Hellerau

Dresden, 16/09/2010

Die Theatersaison hat begonnen, auch in Hellerau, dem Europäischen Zentrum der Künste in Dresden. Hier hat die Forsythe Company eine ihrer beiden Residenzen, in dieser Saison sind 25 Aufführungen vorgesehen, zum Abschluss im Juni 2011 auch eine Uraufführung. Jetzt gab es, der Name des Abends klingt für den Ort und die Protagonisten etwas ungewöhnlich, einen „gemischten Abend mit Choreografien von William Forsythe“ als Wiederaufnahmepremiere. Gezeigt werden ältere Arbeiten, umbesetzt, zum Teil auch verändert; damit ist die Frage nach dem Staub, der sich möglicherweise darauf gelegt haben könnte, erledigt. Auch wenn manche Choreografien an die 20 Jahre alt sein mögen, man merkt es ihnen nicht an, und wenn dann eher als Wiedererkennungseffekt gepaart mit der Verblüffung über ungebrochene Wirkung.

Der Abend beginnt mit „Woolf Phrase“ von 2001, und diese Anordnung erweist sich als gelungene Einstimmung auf eine Abfolge, die im Mittelteil eher düster und bedrückend wirkt, zum Finale dann humorvoll, und uns in tänzerischer Rasanz mit einer Art Satyrspiel entlässt. Zunächst das Stück für zwei Personen, jetzt mit Esther Balfe und Tilman O´Donnell, das sich auf eine Passage aus dem Roman „Mrs. Dalloway“ von Virginia Woolf bezieht. Wir werden im großen Saal des Festspielhauses zunächst angezogen durch die mächtigen Dimensionen einer großen, leeren, schwarzen Bühne. Dann Geräusche, Stimmen und Stimmungen. Bewegungen. Bald setzen sich zwei Grundelemente des Tanzes, somit des Lebens, ins Bild: die Sehnsucht nach Höhe, abzuheben. Weit schwingen die Bewegungen der Tänzerin, dazu auch in den Klagflächen von Thom Willems mit Möwenschreien die Assoziationen von Weite und Meer. Bodennäher, mit fast linkischen Handbewegungen am Partner Mikrofon, der junge Mann mit seiner sonderbaren Angst, sich in einen Hund zu verwandeln, was zu entsprechenden Tönen und Bewegungen führt. Geeint sind beide in den Versuchen, Grenzen und Begrenzungen eigener Körperlichkeit zu überwinden, was immer wieder zum Scheitern führt und den Umgang damit in kunstvoller Weise nötig macht.

Das große Scheitern bestimmt das folgende Stück für sieben Tänzerinnen und Tänzer, „7 to 10 Passages“, als sechster einer auf sieben Teile angelegten Beschäftigung mit der Südpolexpedition von Robert Scott, als die Befragung eines großen Scheiterns. Hier besticht zunächst die bedrückende Atmosphäre aus Körperbildern der Vergeblichkeit. Immer wieder Bewegungen im Kreis, Assoziationen wie Verirrung, Gefängnis, Erschöpfung oder Wahn stellen sich ein. Durchbrochen wird das Geschehen unter schweren Klangwolken durch jähe Tempowechsel, deren Gründe sich nicht erschließen, ebenso wenig wie die Frage nach möglichen geheimen Korrespondenzen zwischen den Tänzern. Da ist viel Schmerz, viel Aufbegehren, etwa in den Sprungvarianten eines Tänzers, die geradewegs aus dem neoklassischen Repertoire hier herein zu blitzen scheinen. Im Gegensatz dazu die Menschen in gebeugten Haltungen, die Arme angewinkelt, die Beine eingeknickt, sie schleichen, bis sie verschluckt werden von der Dunkelheit, die sich erbarmungslos ausbreitet. Eines der vielen Rätselbilder Forsythes, in seiner erinnerungsmächtigen Kraft der Berührung aber eines seiner schönsten.

Finale, Stimmungswechsel, die Bühne verkleinert, kaum noch Tiefe, die Tänzer nahe am Publikum: „N.N.N.N.“ heißt das so kurze wie rasante Stück, und die „Namenlosen“ sind an diesem Abend Cyril Baldy, Amancio Gonzalez, Fabrice Mazliah und Ander Zabala. Aus dem Spiel mit der Fliehkraft und der Kraft der Erdanziehung, der offiziellen Flucht vor Nähe und der mehr oder weniger in verschämten Kampfgesten getarnten Lust an derselben knüpft sich immer wieder eine höchst komische Männergirlande in kaum noch nachzuvollziehenden Verknotungen. Dazu die Musik der Körper in ihren Geräuschen der Berührungen. Das Tempo bestimmen scheinbar der Atem und die Lust der Übertreibung, und das alles auch noch mit charmantem Augenzwinkern auszustellen. Das ist ein Finale furioso, fast ein Happy End, aber dann eben doch nicht, denn regelrecht explosionsartig sprengt es das Quartett der Namenlosen auseinander. Der Donner hallt nach, das ist der Applaus. 

www.hellerau.org

 

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