Das Ballett der Semperoper im Festspielhaus Hellerau

Das Ballett der Semperoper im Festspielhaus Hellerau

Neue Räume, neue Welten

Das Semperoper Ballett in Hellerau

Hellerau, 04/07/2011

Das ist doch wirklich unwahrscheinlich. Da hat man drei der furiosen Choreografien aus dem Repertoire der Dresdner Kompanie mehrfach gesehen und man sieht sie an diesem Abend noch einmal gänzlich neu, total anders. Mit William Forsythes „The Second Detail“, Pascal Touzeaus „No Thumb“ und Jacopo Godanis “Spazio-Tempo” beschließt die Truppe von Aaron S. Watkin die Saison im Rahmen der Reihe „On the move“ im großen Saal des Festspielhauses zu Hellerau. Als Besonderheit dazu eine Dresdner Premiere. „Slingerland Pas de deux“ von Forsythe kommt ins Repertoire des auch inzwischen weit über Dresdens Grenzen anerkannten Ensembles der Spezialisten für die Klassiker der Kreationen des großen Erneurers des Tanzes aus dem Geiste der Neoklassik mit seinem speziellen Gespür für die zeitgemäße Erweiterung und Veränderung der Traditionen. Zur Musik von Gavin Bryars präsentieren Yumiko Takeshima und Raphaël Coumes-Marquet sechs kostbare Tanzminuten. Beiden ist eine gewisse Art der Zurückhaltung eigen, sie überlassen allen Ausdruck den eleganten Linien ihrer Bewegungen, kommen aufeinander zu, nehmen die Entfernung ernst und geben einander jene besonderen Momente der Erhöhung durch die Intensität der Nähe. Die Sichtverhältnisse im Hellerauer Saal bringen uns den Tanz sehr nahe, was mitunter zu einer ästhetischen Gefahr werden kann, erweist sich hier als glückliche Fügung, nicht zuletzt dank der Erhabenheit des sicheren Geschmacks dieses wunderbaren Dresdner Paares erster Solisten.

In die Helligkeit des hohen Raumes, vor dem Hintergrund der besonderen Fensterarchitektur, unter der Höhe der offenen Dachkonstruktion, passt sich Forsythes rasantes Rätsel aus Kommen und Gehen, aus Warten und Eingreifen, Miteinander und Gegeneinander zu Thom Willems Klangcollagen in „The Second Detail“ bestens sein. 14 Tänzerinnen und Tänzer geben sich fulminant den mitunter artistischen Ansprüchen dieser Choreografie mit verblüffender Selbstverständlichkeit hin und ziehen so von der ersten Minute an das Publikum in den Bann. Mag sein, dass es möglich ist, mit dem Beleuchtungsapparat der Semperoper Pascal Touzeaus „No Thumb“ größere Stimmungsspektren zu geben, hier in Hellerau, mit den Assoziationen des räumlichen Experiments, ist es wiederum die Überwindung der Distanz zwischen den Tänzern und den Zuschauern, die uns so unausweichlich anspricht. Die meditative Musik von Peteris Vasks’ „Dona nobis pacem“ bekommt in der Nüchternheit des Festspielhauses genau jene spirituelle Wirkung, die sich im üppigen Schmuck des Opernhauses wesentlich schwerer vermitteln lässt. Wenn am Ende dieser Aufführung die schwarzen Vorhänge niedersinken, die Sicht frei wird auf die Wände eines Gebäudes das in seiner 100jährigen Geschichte nach kurzem Glanz viel Missbrauch und Entweihung erfahren hat, der Vernichtung entgangen ist, sich der Tänzer Jón Vallejo in einen schützenden Teppich am Boden rollt, vermitteln Tanz und Musik noch einmal besondere Dimensionen aus augenblicklicher Wahrnehmung und anhaltenden Assoziationen.

Zum Finale Jocopo Godanis „Spazio-Tempo“, im Wechsel aus Hell und Dunkel, die ins Leben tanzenden Skulpturengruppen zu Klangfarben von 48nord, alias Siegfried Rössert und Ulrich Müller. Noch einmal erweisen zwölf Tänzerinnen und Tänzer aus allen Gruppierungen der Kompanie zu welcher Höhe diese Truppe aufgestiegen ist. Kaum zu glauben, dass wir diese Protagonisten gerade noch in der elegischen, smaragdenen Eleganz eines Balanchines oder in der verkanteten Identitätssuche eines Mats Ek sahen, dass sie die lichte Unbeschwertheit der „Coppélia“ ebenso vermittelten wie den leicht absurden Humor einer Cinderella-Variante von Stijn Celis. Das Semperoper Ballett ist auf dem Weg, das Ziel bedeutet für Aaron S. Watkin die Verbindung von Klassik und Moderne. Da ist er mit der Truppe weit gekommen, dass es weiter geht, dafür stehen die Vorhaben der nächsten Saison. Und weil sich sowohl Klassik als auch Moderne immer neu definieren müssen, bleiben alle in Bewegung, beste Voraussetzung für den Tanz und die Schar seiner Anhänger. Die zeigte sich jedenfalls höchst beglückt beim Ausflug nach Hellerau.

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