„Symptoms of Development“ von Jacopo Godani, Tanz: Ensemble

Alles eine Frage des Tanzes

Jacopo Godani schlägt mit „Symptoms of Development“ in Dresden Hellerau sein letztes Kapitel als Künstlerischer Leiter der Dresden Frankfurt Dance Company auf

Eins steht fest: Wer geht, sollte das mit einem ordentlichen Wumms tun, damit man in Erinnerung bleibt, in guter, idealerweise. Und Jacopo Godani gelingt das mit seiner letzten Arbeit für die Dresden Frankfurt Dance Company mühelos.

Dresden, 11/06/2023

Bevor fast alle Stühle im Ensemble unter der kommenden Ägide von Ioannis Mandafounis neu besetzt werden, gerade mal ein einzelner Tänzer bleibt, schöpft Godani noch mal so richtig aus der Vollen. Und das mit Genuss und einem zwinkernden Auge. Soll heißen: Natürlich zitiert er sich selbst.

Gleich zu Beginn, wenn das Publikum beim Betreten des Saals in Hellerau mitten in eine Art nächtliche Club-Atmosphäre gerät, kann man schon anfangen, in den Erinnerungen zu kramen: In welchem Stück kamen noch mal diese von innen beleuchteten Kästen mit den milchigen, semitransparenten Wänden zum Einsatz? Und die kniehohen Plateau-Heels aus schwarzem Lack? Alles kommt hier noch mal zusammen, aber nicht etwa für einen konzeptlosen bunten Abend. Im Gegenteil. Das hektische Gerauche und Rumgefuchtel mit den Smartphones wird unerwartet in eine synchron arbeitende Phalanx gegossen, bei der die Tänzer*innen sofort wie gewohnt dieses immense Maß an Energie freisetzen dürfen.

Unter den treibenden Sounds, wie gewohnt von 48nord, greift Godani wieder in die Welt des Animalischen: „Ant-ART-ica 2049“ liest sich eine Projektion an der Rückwand. Plötzlich sind da wieder diese Kreaturen, die irgendwo ganz schön weit hinten in der Evolution zu liegen scheinen, wieder mit merkwürdigen, organisch geformten Headpieces. Und Eins wandelt sich ins Nächste. In einem geradezu desinteressierten Licht wird das Theater in einem Dialog auf seinen Immobilienwert reduziert und soll verscherbelt werden. An jemanden, der sich für Theater gar nicht interessiert. Ja, da klingelts. Kommunalpolitisch hatte da mal eine merkwürdige „Partei“ da so Ideen, was man aus dem Festspielhaus nicht alles machen könnte ... Ohne Kunst oder Künstler, wie man sich schmerzvoll erinnert.

Eine „Tanzapokalypse“ droht, wie es im Stück heißt. Mit dem 3. April 2033 ist diese auch noch konkret zeitlich verortet. Auf diesen Zeitpunkt hin wird alles gerafft, sogar bis ins Jahr 2055 schafft es das Ensemble. Und dann zurück: 1979. Ein Labor, in dem der Tänzer*innenkörper auf die Anatomie reduziert wird, ungläubig staunende Experten im weißen Kittel stehen drum herum. Das sind Kommentare mit Bezug auf Diskurse rund um zeitgenössischen Tanz und die Kunst und das Theater an sich. Und alles so zugespitzt, dass die Pointen nicht nur sitzen, sondern auch als teilweise bittere Erkenntnisse nachdenklich machen.

Bis es schließlich zu einer Art Explosion und damit verbunden zu einem Riss in der Personenkette kommt. Tabula rasa auf der Bühne. Auftritt: Sergey Sadovoy und sein Akkordeon. Wer diesen Musiker bereits in dem Abend „Anthologie“ erlebt hat, weiß an dieser Stelle, dass dieser junge Mann sein Instrument quasi in Flammen setzen kann, bildlich gesprochen. Und das tut er auch dieses Mal, mitten auf der Bühne, umringt von den 13 Tänzer*innen, die auf seine Virtuosität im Spiel ganz genau so reagieren, genau so virtuos, komplex und in der Bewegungssprache, die Godani seinem Ensemble über Jahre hinweg in die DNA geschrieben hat. Irgendwann gibt es kein Halten mehr. Und nichts scheint mehr eine Rolle zu spielen. Da heißt es einfach, sich im Publikum zurückzulehnen und sich in diesem vor Kreativität überbordenden Handwerk zu verlieren. Sie zeigen noch mal alles. Sie haben es gelernt, haben Godanis Handschrift verinnerlicht. Und genau dort, im Inneren der Tänzer*innen, wird sie auch bleiben, ganz gleich, welchen Weg die Mitglieder des Ensembles auch einschlagen werden. Darauf verweist gegen Ende hin der Song „Cosmic Dancer“ von T. Rex, in dem es heißt: „I danced myself out of the womb / Is it strange to dance so soon? / I danced myself into the tomb“.

 

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