„À la carte“ von Ioannis Mandafounis, Tanz: Yan Leiva, Ichiro Sugae, Sarah Bucher, Todd Baker

Nice to meet you!

Dresden-Premiere von „À la carte“ der Dresden Frankfurt Dance Company

Das neu zusammengewürfelte Ensemble hat seine Visitenkarte dagelassen. Und was für eine!

Dresden Hellerau, 10/12/2023

Tatsächlich war es die durch eine ästhetisch wenig ansprechende Hundekot-Attacke bundesweit bekannt gewordene Tanzkritikerin Wiebke Hüster, die in der FAZ angesichts des Abends „À la carte“ der Dresden Frankfurt Dance Company ins Schwärmen geriet. Sie hatte dessen Uraufführung bereits in Frankfurt erlebt. Ins Schwärmen geriet sie dank eigener Reminiszenzen. Erinnert fühlte sie sich, angesichts des lauten und, das darf man sagen: chaotischen Endes an die frühen Ballette des Großmeisters William Forsythe. Daran ist auch nichts falsch. Der Gedanke liegt wirklich nah. Und in den Genen der Company steckt ja eben Forsythe. Trotzdem darf man fragen: Wann hört das eigentlich endlich auf? Ja, der neue Künstlerische Leiter Ionannis Mandafounis hat wie sein Vorgänger Jacopo Godani in Forsythes Ensemble getanzt. Das spielt aber heute keine Rolle mehr. Keiner hat sich freischwimmen müssen, sondern vom ersten Moment an Selbstständigkeit und künstlerische Unabhängigkeit bewiesen.

Wie ein Orkan

Und dass dem so ist, hat das neue Ensemble mit breitestem Grinsen bewiesen. Einem Orkan nicht unähnlich haben sie den großen Saal des Festspielhauses gestürmt. Einfach so. In völlig schrägen Kostümen. Und mit einer Art kindlichem Staunen. Es überrascht nicht, dass sich das Ensemble, die Tänzerinnen und Tänzer, vorstellen wollen, dass sie ihr Publikum kennenlernen wollen. Dieser Ansatz eines „First Date“ ist auch gar nicht neu. Und er funktioniert. Das Publikum ist dafür bereit. In der obersten Reihe fand sich zur Premiere dafür der nötige Fanblock. Es war eine Riege von Bachelor-Studierenden der Palucca Schule, die hier ganz klar einem Zeitgeist huldigen wollten. Das hat auch gepasst. Wo Jacopo Godani der in messerscharfe Präzision Getriebene ist, der auch noch jeden einzelnen Finger choreografiert, kommt Ioannis Mandafounis ziemlich gechillt um die Ecke. Genau deshalb stülpt sich seine Truppe im Lauf des Abends Sportklamotten über, die aussehen, als hätte sie eine KI ausgespuckt, die mit den falschen Prompts gefüttert worden war. Genau so liest sich auch sein Bewegungsvokabular. Das ist genau so energetisch wie das von Godani, aber natürlich ganz anders. Folgt man Samuel Young-Wright, der mehrere Jahre lang unter Godanis Ägide getanzt hat, könnte man immer noch den Ansatz der Hände wahrnehmen, den Versuch, bis in die Fingerspitzen zu tanzen. Mandafounis tickt da aber anders. Hände? Gibt’s nicht.

Eine Liebeserklärung

Die machen halt ihr eigenes Ding. Sollen sie ja auch. Und was sie dem Publikum in Hellerau zu Füßen legen, ist eine Liebeserklärung, versteckt in einer Überwältigungschoreografie. Da wird nicht nur getanzt. Da wird gesungen, Trompete und Schlagzeug gespielt, mit dem Publikum geflirtet und was nicht noch alles. Bisschen viel? Könnte sein. Ist es aber nicht. Das alles schrammt nur eben in Hochgeschwindigkeit an den Rändern des Tanzes, der Performance und des Theaters entlang. Definitionen braucht heute kein Mensch mehr. Es geht ganz offensichtlich darum, Spaß zu haben. Das gilt für das Ensemble genauso wie für das Publikum. 

Im Kern kann man da durchaus noch das erkennen, was man unter Ballett oder Klassik versteht. Entscheidend ist das aber nicht. Im Ensemble tanzen Leute, die nicht nur keine klassische Tanzausbildung haben. Da tanzen Leute, die eigentlich im Bereich der Martial Arts zuhause sind oder bislang meistens Felsen erklettert haben.  Entsprechend individuell fällt der Ausdruck der einzelnen Tänzerinnen und Tänzer aus. Stellenweise könnte man meinen, die grundlegende Körperspannung ginge flöten. Tut sie aber nicht. Der Ausdruck basiert hier auf unbedingtem Willen. Böse Zungen könnten das als manisch bezeichnen. Das ist aber nur das Powerhouse einer Riege junger Leute, die hier und jetzt leben wollen. Und es tun. 

Genau deshalb gibt es kein ausgefeiltes Bühnenbild. Von den bombastischen Lichtstimmungen Godanis: keine Spur. Stattdessen grölen alle völlig albern im drögen Saallicht Celine Dions Schmachtfetzen „My heart will go on“. Und das Publikum grölt mich. Darum geht’s doch. Die haben nichts im Gepäck, keinen Ballast, keine Tradition, keinen Auftrag. Soll heißen: Schluss mit lustig. Ab jetzt haben wir Spaß. Wer was dagegen hat, outet sich als alt. Pech gehabt. 

 

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