Überleben in einem fremden Land

„Dancing, out of Germany - A bicultural reflection" von Leanore Friedland Ickstadt

Lüneburg, 14/07/2011

https://asiimages.s3.amazonaws.com/297804_xl.gif Ein seltsames Buch, eine Art erweitertes Feature: die Mischung aus Sachbericht, quasi philosophischer Betrachtung sowie erfundenen Dialogen; Briefwechsel und Szenen, die zum größten Teil von der Autorin Leanore Friedland Ickstadt aus Originalzitaten der dargestellten Personen zusammengefügt wurde. „A bicultural reflection“ ist denn auch der Untertitel des Buches, das sich mit den Schicksalen von Tänzerinnen des deutschen Ausdruckstanzes beschäftigt, die in der Nazizeit nach Übersee, in die USA emigrieren mussten. „Dancing, Out of Germany“ nennt Ickstadt in der Hauptzeile ihre Schrift.

Geboren und in den 50er Jahren aufgewachsen in den USA, in den 60er Jahren übergesiedelt in die Bundesrepublik, beschreibt die Autorin die krass unterschiedlichen Lebensläufe der Emigrantinnen, von denen einige fast vergessen sind. Ickstadt holt sie wieder hervor, lässt sie zu Wort kommen und zieht Vergleiche, auch mit dem eigenen Werdegang, der eigenen Methodik des Unterrichtens und Tanzens. Geistige Berührungspunkte mit den Tänzerinnen und Tanzpädagogen ergeben sich oft aus dem Studium der Frauen bei Mary Wigman, die jahrzehntelang ein Studio, zuletzt in Berlin, betrieb. Ihre Schülerin Hanya Holm gründete 1931 ein Wigman-Studio in New York. Ickstadt bewegte sich 30 Jahre später in die Gegenrichtung, bekam 1961 ein Fulbright-Stipendium für die Tanzausbildung bei Wigman in Berlin. So sammelte sie Erfahrungen in modernen Tanzstilen beiderseits des Ozeans.

Man mag mit einigen Reflections der Autorin (Tänzerin, Choreografin, Gründerin der Berliner Tanztangente und bereits Autorin von „Dancing Heads“) über ihre Kolleginnen und über die Zeitläufe nicht einverstanden sein, etwa über Steffi Nossen, Hedy Tower, Tina Flade, Elsa Kahl (Frau von Fritz Cohen, Komponist der Musik zum „Grünen Tisch“ von Kurt Jooss) – faszinierend und erhellend sind ihre persönlich getönten Betrachtungen in jedem Fall. Sie regen an zur weiteren Beschäftigung mit diesem Thema. Leanore Ickstadt umreißt die Profile nicht nur mit Beschreibungen der Lebenswege, sondern schildert deren Persönlichkeit auch mit besonderen Stilmitteln:

Der Briefwechsel „Letters imagined“ von Elsa Kahle (gest. 1992, lange Zeit Tänzerin in der Jooss-Gruppe) sowie einigen befreundeten Personen durch die Zeiten von 1941 bis 2008. Den letzten Brief schreibt Ickstadt an die bereits tote Kahl, es ist eine Reflektion über ihr Leben mit dem Resümee: „It seems to me you left German as a dancer and died in New York als die Frau von ….“. “Talking with Hedy Tower” gestaltet Ickstadt als Play in zwei Akten, in dem sie der Tower einige persönliche Bekenntnisse entlockt. Ein Entr’act „Watching Hedy“ ergänzt den Schauspieldialog. Ickstadt bekennt dennoch: „Hedy remains a mystery to me “ (S.77) Schließlich stellt sie Steffi Nossen in „The Imaginary Dance conference” als clevere Frau vor, die überzeugt ist: Jeder kann und soll tanzen ( „Everyone can and should dance“, S. 97.) Deshalb bietet sie eine breite Palette an Tanzarten an, während sich Ickstadt auf Modern and Jazz konzentriert, „because I felt I was expert in that“.

Tina Flade (gest. 1992), Tochter reicher Eltern, ging schon 1932 in die USA, traf auf keine Probleme im Gegensatz zu Nossen, Kahle, Tower: „a career in America was offered to her on a silver platter“ (S. 30). Ickstadt zieht ein Resümee: Tina gab das Tanzen auf und wurde Ehefrau und Mutter, Steffi Nossen baute eine Kette von Ballettstudios auf, die nach ihrem Tod (1979) noch immer besteht. Elsa Kahle wurde zur Mitarbeiterin ihres Mannes, stieg langsam als Tänzerin aus. Hedy Tower unterrichtete noch mit 95 Jahren.

Fünf weitere Frauen schildert Ickstadt – sie pendelt zwischen USA (New York) und Deutschland (Berlin) – kompakt unter dem Titel „Laughter in Weimar Germany“, darunter Niddy Impekoven, Lotte Goslar und Valeska Gert. Letztere versuchte wie einige andere vergeblich, nach dem Krieg mit ihren Grotesktänzen wieder Fuß zu fassen: „Kahl ended her life in the wrong place (New York), Gert in the wrong time“, meint Ickstadt, die ihre Schilderungen durchweg einbettet in die betreffenden Zeiten, die gesellschaftlichen Strukturen, dadurch Hintergrund aufbaut. Das geht von der deutschen, nicht klassischen Ausdruckstanzszene in den zwanziger, dreißiger Jahren bis in die Zeit des repressiven Naziregimes, dann des amerikanischen Modern Dance, der mit Martha Graham, Doris Humphrey, José Limon u.a. eigene Stile kreiert hatte.

Die Schwarzweiß-Fotos, meist eher unbedarft, lockern das Seitenbild etwas auf, ohne viel zusätzliche Information zu vermitteln. Im Glossar stellt Ickstadt wichtige Personen kurz vor, in der Bibliographie führt sie eine Liste von Büchern zum Thema an, allerdings nicht „Tanz unterm Hakenkreuz„ von Lilian Karina, Marion Kant, Lilian K. Vasarhelyi. Ickstadts „Dancing out of Germany” hat zwar einige Durchhänger (z.B. in The imaginery dance conference), bewegt jedoch im Ganzen durch die engagierte, einfühlsame Schilderung. Sie ruft die Erinnerung zurück an die Epoche des German Dance und seiner aus Deutschland verdrängten Vertreterinnen, deren Einfluss bis in unsere Zeit geht. Leanore Friedland Ickstadt: Dancing, Out of Germany. A bicultural reflection. iUnivers,Inc., Bloomington, 2011. 144 Seiten, ISBN: 9781462001439, 14,95 $ bzw. 10,99 € erhältlich hier oder bei Amazon

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