„FUCK ME“ von Marina Otero

Vergänglichkeit und Gegenwärtiges

Marina Otero mit „FUCK ME“, Trajal Harrells „Monkey off My Back or the Cat’s Meow“ sowie Luca Bonamore & Lau Lukkarila mit „Lapse and the Scarlet Sun“ bei ImPulsTanz – Vienna International Dance Festival 2023

Marina Otero und Trajal Harrell beschäftigen sich mit der Vergänglichkeit, Geschichte und Körpern. Bonamore & Lukkarila packen in ihre Uraufführung viele Ideen, wobei manches nicht ausgearbeitet wirkt.

Wien, 30/07/2023

Wieder einmal nackte Tänzer auf der Bühne. Doch diese machen in Marina Oteros „FUCK ME“ durchaus Sinn, denn es geht ihr um den Umgang mit dem (eigenen) Körper. Dabei nicht nur darum, wie man selber auf den eigenen Körper (nicht) achtet sondern auch, wie andere den eigenen Körper benutzen. Die fünf energiereichen Darsteller, die tanzen, singen und sprechen, sind in Alter sowie Körperbau sehr divers und passen doch gut zusammen. Otero nennt sie alle Pablo und nummeriert sie durch. Sie selbst sitzt die meiste Zeit am Bühnenrand, erzählt ihre Geschichte und gibt Anweisungen. Denn mehrere Bandscheibenvorfälle und eine Operation liegen hinter ihr. Nur in kleinen sanften Schritten kann sie sich über die Bühne bewegen. In einem Video sieht man, dass sie mit ihrem Körper nicht pfleglich umgegangen ist: Oftmals hat sie sich ohne Vorsicht in ihren Performances auf den Boden geworfen. Trotz der Schmerzen vor der Operation hat sie an dem Stück gearbeitet. Darin erzählt sie aus ihrem eigenen Leben. Aber auch die Tänzer kommen zu Wort. Berührend unter anderem der Moment, als einer erzählt, dass er in seiner Kindheit sehr unscheinbar war. Dann hat er zu trainieren begonnen. Nun ist sein Körper ein Lustobjekt, wird geliebt und weil er von anderen geliebt wird, kann er sich auch selber lieben. Es ist ein dicht gewebtes Stück, das unterhaltsam ist aber auch nachdenklich macht. Der Stücktitel ist übrigens als Aufruf gedacht: Denn wer Schmerzen hat, hat keine Lust auf Sex. Mittlerweile geht es ihr besser, beim Schlussapplaus – Standing Ovations – sieht man, dass Otero schon wieder normal gehen und auch laufen kann.

Ein zweistündiges Gesamtkunstwerk ist Trajal Harrells „Monkey off My Back or the Cat’s Meow“, in  dem nichts dem Zufall überlassen scheint, selbst das Verbeugen ist inszeniert. Das Publikum sitzt entlang eines Catwalks, dessen Boden eine Referenz an Piet Mondrian ist. Es beginnt auch mit einer Modenschau, in der unzählige Kleidungsstücke, von Harrell zusammengestellt, vorgeführt werden. Dabei werden (Geschlechter-)grenzen überschritten. Die 16 Schauspieler*innen und Tänzer*innen des Schauspielhaus Zürich Dance Ensemble – Harrell ist unter ihnen – haben den exaltierten Stil zu gehen sowie das ausdruckslose Gesicht von Models verinnerlicht und sind doch keine reinen Anziehpuppen. Brüche führen zu Veränderungen im Geschehen, einzelne Darsteller*innen beginnen zu tanzen, führen immer mehr Tänzer*innen an, bis alle die gleichen Bewegungen machen. Aus dem Individuum wird eine Gruppe. Doch diese wird auch wieder aufgelöst. In den Tanzszenen überwiegen vor allem weiche Armbewegungen und Voguing, eine Tanzrichtung die es aus der schwulen afroamerikanischen Subkultur in den Mainstream geschafft hat. Das Verlesen der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776, ein starker Ruf nach Freiheit und Gleichheit, endet im Chaos, als die Windmaschine die Blätter verweht – ein metaphorisches Bild zur Gegenwart! Zwischendurch wird einfach nur einmal Musik gehört. Der Soundtrack, zusammengestellt von Asma Maroof und dem Choreografen, beinhaltet unter anderem Nina Simone, Debussy und Steve Reich.

Die Uraufführung von Luca Bonamore & Lau Lukkarilas „Lapse and the Scarlet Sun“ ist ein queerer Ruf nach Befreiung geworden. Die zwei sind in Personalunion Choreograf*innen, Tänzer*innen und Sänger*innen, die vor zärtlichen, intimen Szenen nicht zurückschrecken. Lea Steinhilber hat einen Wasserfall für den Bühnenraum gemalt, der anfangs noch Beachtung findet, sowie eine runde Projektionsfläche für das Visual Design von Ju Aichinger in das rechte hintere Bühneneck gehängt.  Allerdings wirken die beiden wie Kinder im Süßigkeitenladen: zu viele Möglichkeiten, zu viele Ideen, zu viele Beteiligte und zu wenig Zeit, das alles zu verarbeiten. Man darf aber gespannt auf weitere Arbeiten sein.

 

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