Gret Palucca und Kandinsky-Skizzen

Palucca und Kandinsky

Eine Tanzwoche und zwei Palucca-Skulpturen gedenken nun gemeinsam an Palucca

Mit zwei Palucca-Skulpturen aus Metall nach den Zeichnungen von Wassily Kandinsky ist in Vitte auf der Ostseeinsel Hiddensee ein eindrucksvoller Erinnerungsort entstanden.

Hiddensee, 27/05/2023

Palucca-Schülerin und Tanzpädagogin Hanne Wandtke und der Pianist Peter Jarchow, der Palucca viele Jahre im Unterricht begleitet hatte, sowie der Filmemacher Konrad Hirsch, der einen Dokumentarfilm über die Künstlerin gemacht hat, kamen auf die Idee, das Andenken an Palucca auf der Insel Hiddensee zu verstetigen. In Karl Huck, dem Puppenspieler und künstlerischen Leiter der Seebühne, fanden sie den wichtigen Partner, der den Skulpturen vor seiner Homunkulus-Figuren-Sammlung einen angemessenen Platz zur Verfügung stellte.

Warum Hiddensee?

Palucca (1902-1993), die seit den frühen 1920er Jahren als Tänzerin mit ihrem damals revolutionären Tanzstil, der oft als ungestüm und impulsiv bezeichnet wurde, überraschte, startete ab 1925 auch als Tanzpädagogin in Dresden eine Karriere. Ihre Sommerferien verbrachte sie gern auf Inseln – anfänglich auf Sylt und ab 1948 auf Hiddensee, wo sie sich 1961 ein reetgedecktes Sommerhaus errichten ließ, das in seiner Schlichtheit an die Ideen der Bauhaus-Architekten erinnert.

1993 verstarb Palucca in Dresden. Ihr Grab befindet sich auf dem Inselfriedhof in Kloster auf Hiddensee. Das Haus in Vitte verfiel nach ihrem Tod und wurde kurz vor der Erteilung des Denkmalschutzes abgerissen. Die Bemühungen einer Initiative, das Palucca-Haus zu einem Gedenkort zu machen, waren ohne Erfolg geblieben.

 Wie kamen die Zeichnungen von Kandinsky zustande?

Kreative Inspirationen hatte Palucca eigenen Angaben nach bei Begegnungen mit den Bauhäuslern László Moholy-Nagy, Paul Klee oder Wassily Kandinsky erhalten. Diese und andere haben sich auch öffentlich anerkennend über den Tanz von Palucca geäußert. Mit den Zeichnungen von Wassily Kandinsky hat es dabei noch eine besondere Bewandtnis.

Palucca erinnert sich an die Begegnung mit ihm: „Es ist bei mir immer so gewesen, dass mich die bildende Kunst mehr angeregt hat als der Tanz und da war einer, der mich fasziniert hat, und das war Wassily Kandinsky“, und ergänzt: „Ich musste in sein Atelier kommen und Kreise und Dreiecke tanzen. Durch seine Anregungen sind mir viele Dinge für meine eigene Arbeit noch klarer geworden.“

Was exzellente PR für den Ruhm einer Tanzkünstlerin leisten kann

Entscheidenden Einfluss auf diese Freundschaften unter den Künstlern hatte ihr damaliger Ehemann Friedrich Bienert. Als Unternehmer wusste er um die Bedeutung von professioneller Werbung: „Wer etwas gelten wollte, musste die ‚Feuertaufe‘ einer Berliner Aufführung bestehen“, heißt es damals. Und diese „Feuertaufe“ musste auch medial gut vorbereitet sein. Doch: „Ein Erfolg in Berlin war beim Publikum allerdings schnell vergessen, schlossen sich darauf nicht Aufführungen in anderen Städten an, deren Erfolgsberichte die Tänzerinnen und Tänzer dann wieder als Bonus für die Vorstellung ihres nächsten Programms in Berlin aufweisen konnten.“ So beschreiben es Patricia Stöckemann und Hedwig Müller in ihrem Buch „…jeder Mensch ist ein Tänzer.“

Und so handelt Friedrich Bienert und produziert gleich zu Beginn der Tanzkarriere von Palucca von ihm so genannte „Propaganda-Hefte“, in denen er anerkennende Stimmen von Kritikern – auf die er mitunter Einfluss nimmt – vereint. Aber er bittet auch die Bauhäusler, die seiner Mutter Ida Bienert gegenüber verpflichtet sind, weil sie deren Bilder kauft, um ihre Meinung zu Paluccas Kunst. Am 19. Juli 1927 schreibt er deshalb auch an Wassily Kandinsky und bittet ihn um eine Äußerung zu Palucca. Dabei geht er auch auf seine bisherige „PR-Arbeit“ ein: „Auch gibt es, glaube ich, immer noch Menschen, die sich wirklich einbilden, daß die ganz Presse von mir bestochen worden wäre. Von so namhaften Künstlern wird man das sicher nicht anzunehmen wagen.“ Doch Wassily Kandinsky kann noch nichts einfallen, weil er Palucca noch gar nicht tanzen gesehen hat. Palucca fährt also nach Dessau und gibt einen Tanzabend. Leider sieht Kandinsky diesen nicht und sie tanzt ihm in seinem Atelier vor. Ein anderes Mal besucht er Palucca in Dresden und schaut ihr beim Tanzen in ihrem Saal zu. Aber der Funke will nicht überspringen.

Friedrich Bienert arbeitet mit Hochdruck an seinen Heften. Er möchte dabei kein einseitiges Bild seiner Frau zeichnen lassen. Paul Klee, Georg Kolbe, Laszlo Moholy-Nagy, Karl Albiker, Theodor Däubler, Heinrich Tessenow und Isai Dobroven haben sich schon geäußert. An Ludwig von Hofmann schreibt er daher zum Beispiel am 5. August desselben Jahres, also nur drei Wochen nach dem Brief an Kandinsky: „Deshalb wäre mir gerade ein Wort von Ihnen so ganz besonders wertvoll. Auch weil das Urteil der Künstler des Bauhauses, als abseitsstehender Clique, von in Frage kommenden Theater- und Agentenkreisen als zu einseitig abgelehnt wird.“

Die Zeit drängt, das Heft muss in den Druck. Kandinsky hat noch immer nichts verfasst und macht Urlaub an der Ostsee. Daher unternimmt Friedrich Bienerts Sekretärin Hanna Eisfelder eine Dienstreise und legt Wassily Kandinsky die Palucca-Fotos von Charlotte Rudolph vor. Und siehe da: der Funke springt über. Er zeichnet auf Pergamentpapier das Wesen der Fotos und damit das Wesentliche des abgebildeten Tanzes nach und kommentiert es. Die Charakteristika von Paluccas Kunst wären demnach laut Kandinsky: „1. die Einfachheit der ganzen Form“ und „2. das Aufbauen auf der großen Form.“

Mit diesen Zeichnungen und Kommentaren kehrt Hanna Eisfelder nach Dresden zurück. Zwei von ihnen gelangen sofort ins Heft. Sie sind allerdings relativ weit hinten platziert. Entweder traut man den Zeichnungen die spätere Wirkung nicht zu oder das Layout war einfach schon zu kurz vor dem Drucktermin, dass man eben nur noch hinten etwas einfügen – und vielleicht sogar etwas anderes dafür rauswerfen musste.

Der Triumphzug der Zeichnungen

Einmal in der Welt, treten mit der wachsenden Prominenz von Wassily Kandinsky, Palucca und Charlotte Rudolph diese Zeichnungen ihren Triumphzug an. Es gibt seitdem keine Publikation über Palucca, die nicht auf sie und diese Künstler-Freundschaft Bezug nimmt.

Und der Erfolg von Friedrich Bienerts Propaganda-Heften ist phänomenal. In der Berliner Zeitschrift „Tempo“ ist anlässlich eines Auftritts von Palucca im Berliner Bach-Saal – vielleicht auch mit ein wenig Augenzwinkern – zu lesen: „Die Palucca ist eine Sache für sich. Ganz Deutschland durch den Mund seiner Maler, Bildhauer, Architekten, Dichter und Kritiker hat ihr bestätigt: wie edel und wie ganz unmittelbar die „Tanzkunst an sich“ ist, wie stählern und leicht zugleich ihr Sprung, wie vollkommen als Ausdruck und Technik, genial und exakt zugleich das Spiel dieser Glieder.“ (6.11.29, Jacobi)

Eine Tanzwoche und die Skulpturen gedenken nun gemeinsam an Palucca

Das Gedenken an Palucca begann auf Hiddensee 1997 mit der erste Tanzwoche ihrer Schule auf der Insel. Seitdem ist sie fester Bestandteil der Insel-Kultur in jedem Sommer. Ins Leben gerufen wurde sie von Hanne Wandtke und Peter Jarchow. Zur festlichen Einweihung der Palucca-Kandinsky-Skulpturen sprachen beide nun im „Homunkulus-Theater“ anschaulich und anregend, heiter und hochachtungsvoll sowohl über ihre Zusammenarbeit als auch über ihre persönlichen Begegnungen mit Palucca. Karl Huck hatte eigens eine Palucca-Marionette fertigen lassen, die zur Improvisation von Peter Jarchow am Klavier dank der Hilfe des Puppenspielers improvisierend tanzte. Auch der Dokumentarfilm über Palucca „Ich will nicht hübsch und lieblich tanzen“ erinnerte an diese beeindruckende Künstlerin.

Als Wassily Kandinsky die Skizzen zu Paluccas Tänzen nach den Fotoaufnahmen von Charlotte Rudolph anfertigte, analysiert er mit wenigen Linien präzise und abstrahierend die Bewegungen der Tänzerin. Diese Charakteristika spiegeln die beiden überlebensgroßen Metallskulpturen wider, die nun an zentralem Ort in Vitte stehen. Spenden aus ganz Deutschland ermöglichten, dass dieser eindrucksvolle Erinnerungsort entstehen konnte.

 

 

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