Zeit des Übergangs
Gastchoreograf Chris Haring inszeniert "Schwanensee" am Landestheater Linz
Der „Schwanensee“ war nicht Chris Harings Wahl: Der Choreograf wurde angefragt, relativ kurzfristig, nachdem klar geworden war, dass die seit Herbst wegen zahlreicher Vorwürfe frei gestellte, langjährige Tanzleiterin Mei Hong Lin nicht an das Musiktheater zurückkehren werde. Der bereits lange fixierte Stücktitel und das auf Peter I. Tschaikowsky vorbereitete Bruckner Orchester wurden zum Ausgangspunkt für Haring, der sich in der freien (Wiener) Szene mit seinem Ensemble Liquid Loft einen Namen gemacht hat und durch formschöne, bewegungstechnisch reduzierte, dramaturgisch meist ausgefeilte zeitgenössische Produktionen auffällt.
Chris Haring hat sich offenbar entschieden, Inhalt und Form des Werks weitgehend beiseite zu lassen. Man kann das kühn finden. Im Fall von „Schwanensee“ sind gewöhnlich sowohl die Musik als auch die tradierte Choreografie von Marius Petipa und Lew Iwanow Text und somit Anlass für Interpretation. In der Linzer Neuproduktion spielt das Orchester die vom feinsinnigen Dirigenten Marc Reibel angefertigte Strichfassung von knapp zwei Stunden allerdings wie konzertant, in mitunter atemberaubendem Tempo und hat auf diese Art auch gar kein Interesse an einem atmosphärischen „Schwanensee“. Die gekürzte Partitur klingt intensiv und nuancenreich, aber nicht auf Inszenatorisches verweisend. Ganz und gar nicht narrativ ist auch Haring unterwegs, der zwölf Tänzer*innen in dehnbaren Kostümtrikots immer wieder von links nach rechts und zurück über die Bühne schickt, sie manche vogelähnliche Armbewegung tun und zunehmend in skulpturalen Posen verharren lässt. Dekorative Stills.
Es wirkt, als würde jemand von weither kommend auf einen Werktitel schauen, dessen Gehalt irgendwo verloren gegangen ist. Ausgerechnet die vier kleinen Schwäne tauchen als Zitat auf, immer schon ein formalistischer Gag, ja auch für halblustige Mitternachtseinlagen, aber kein weiterführendes Element, nun musikalisch verschoben und choreografisch aufgelöst, sowie zwei formale Momente, die wie Erinnerungsreste an das entschwundene Ballett wirken. Es gibt keine Charaktere, nur einen kurzen Ton-Einspieler, in dem sich eine männliche Stimme entschuldigt, eine weibliche reagiert... die Andeutung einer Beziehung, einer enttäuschten Verliebtheit.
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