10 Jahre „Access to Dance“!
Münchner Projekt von Tanzplan Deutschland auch nach Ablauf der 5-Jahres-Förderung durch den Tanzplan Deutschland erfolgreich weitergeführt.
Es wäre ja auch zu schön gewesen, wenn der Spagat zwischen zeitgenössischem Tanz, Video, elektronischer Sound- wie Bild-Produktion und Clubbing, den Walter Heuns Joint Adventures mit „SYNAESTHETIX“ versuchen, vom Fleck weg von der Jugend gekapert worden wäre. Ein vergleichbares Format hat Heun bereits 2017 mit anderen Künstlern in Wien ausprobiert. Für München ist es ein Versuchsballon, dessen Start vergleichsweise spät angekündigt wurde. Der Grund dafür waren Probleme beim Finden eines geeigneten Raums. Und ideal ist die Muffathalle dafür auch nicht, obwohl vier große Screens - an jeder Wand einer -, und das Wummern der Bässe an alte Zeiten erinnern. Selbst tanzen wollten hier jedoch die wenigsten. Beim nächsten Mal zieht das Ding in den Club.
Nur ein paar Handverlesene aus der zeitgenössischen Tanz-Szene der Stadt sind in der dennoch okay gefüllten Halle auszumachen. Menschen U30 sind auch dabei, und es geht auch gleich mit viel Street Credibility los. Moritz Ostruschnjak bestellt mit seinen Tänzer*innen Guido Badalamenti, Daniel Conant, David Cahier und Magdalena Agata Wójcik die politische Startrampe des ansonsten eher auf Sinneseindrücke fokussierten Multimedia-Parcours. Die vier laufen mit Bewegungen auf, die der Münchner Choreografie-Shooting-Star für sein Pandemie-Meisterstück „Yester:Now“ kreiert hat. Viel dynamisches Gehen und lässiges Marschieren ohne Raumgewinn, plus zeichenhafte Arm- und Handbewegungen, denen diesmal die Verlängerung durch Plakate, Fahnen und Schlagstöcke fehlt. Einige wilde Step-and-Turns scheinen von dem Solo „Tanzanweisungen“ inspiriert. Auch mit Roboterwesen, wie sie ein paar Umdrehungen perfekter in Moritz Stumms Videos auftauchen, hat Ostruschnjak schon gearbeitet. Und die rhythmisch geschnittene Collage aus Selfies amerikanischer Waffennarren kennt man zwar aus „Autoplay“, sie entfaltet aber so kurz vor der Schicksalswahl in den USA einen gesteigerten Horror. Copy and Paste, Mix and Match, seit Jahren Ostruschnjaks Kompositionsprinzipien, wendet er in dem Video-Tanz-Shortie „HURRA“ konsequent auf das eigene Oeuvre an. Für Fans des Münchner Choreografen bietet der damit zwar wenig Neues, aber er zeigt dem Hurra-Patriotismus dieser Tage einen sehr coolen Stinkefinger.
Und weiter geht´s. Wie die Musiknummer in einem Konzert reihen sich die Teile dieses Abends smooth aneinander, sind teils sogar dem Timing des Lineups ein kleines Stück voraus. Dass Walter Heun dieses „Kunstevent für alle Sinne“ nicht nur kuratiert und nach dramaturgischen Erwägungen zusammengestellt, sondern auch künstlerisch befruchtet hat, wird am augenscheinlichsten in der zweiten und fünften „Nummer“. In beiden zeigt die in Barcelona ansässige Truppe GN | MC des Choreograf*innenpaars Guy Nader und Maria Campos Teile ihres Stückes „TIME TAKES THE TIME TIME TAKES“. Die zwei Tänzerinnen und drei Tänzer, denen ein Schlagzeuger zunehmend einheizt, sorgen damit für den nötigen Energieschub für die finale DJ-Session des WUT Kollektivs mit tps nostromo, nachdem zuvor eine lange, psychedelisch-meditative Ton- und Bildstrecke zu bewältigen war: Der ukrainische Klangkünstler Heinali und das Berliner Duo u-matic & telematique lassen in „Organa Polaris“ zu oder aus hohem elektronischem Zwitschern und tiefem Bassdröhnen gebogene Linien, Ringe, Blasen und Kuppeln entstehen. Hübsch, aber ein bisschen retro, wie der Blick durch ein elektronisches Kaleidoskop. Und außer dem technischen Verständnis fehlt mir hier der Faktor Mensch.
Den gibt es bei Nader und Campos dafür geballt, auch wenn der Tanz von mechanischen und physikalischen Prinzipien inspiriert scheint. Es geht sehr langsam los. Mit dem Pendeln eines Armes und schnelleren, schneidenden Bewegungen, unter denen sich die anderen Tänzer*innen in alle Richtungen wegducken und -biegen. Pendel- und Kippbewegungen auch des ganzen Körpers bleiben ein Grundmotiv, mal wird Kraft durch eine gleich große Gegenkraft neutralisiert und die Bewegung steht still. Dann wieder herrscht eine Dynamik, die man etwa vom Aikido kennt: Die Energie des Angreifers – hier: Tanzpartners – wird aufgenommen und umgeleitet. So rollen die fünf einander paarweise über den Boden, haken sich Hüfte an Hüfte ein, verschmelzen zum Perpetuum Mobile und immer neuen mobilen Gruppenbildern. Aber auch Breakdance, Handstandakrobatik und die Haltekraft der Mittanzenden testende gewagte Sprünge kommen zum Zug. Zeitgenössischer Tanz goes Cirque Nouveau, und das alles in zarten Weiß-Grau-Silber-Tönen. Die beherrschen auch die Live-Videos, die GN| MC erstmals für ihre Arbeit nutzen. Heun hat die Truppe mit den Videokünstlern Lluís Bullón und Pol Mas de Xaxàs zusammengebracht, und gleich das Eingangsbild ist wunderschön: Die Schatten der von hinten angestrahlten Tänzer*innen legen sich lang auf den Screen, während der erste, der aus der Gruppe heraustritt, von oben gefilmt wird und sehr klein, aber gestochen scharf über die Schatten geht wie die Zukunft über die Vergangenheit. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein solch einmaliger Versuch neue künstlerische Allianzen stiftet.
Die braucht der japanische Multimedia-Künstler Hiroaki Umeda nicht, denn bei ihm entsteht offenbar alles aus seinen eigenen Bewegungen. Das elektronische Knistern und Knattern und die aus einer einzigen horizontalen Linie geborenen Visuals. Kleine Ableger davon flitzen als weiße Tierchen oder lange Nadeln über den Screen, als Kometenregen, Funkenflug und Bestandteile einer riesigen Welle, bevor sie am Ende ordentliche Webmuster bilden. Während Umeda als Tänzer davor zuckt, stampft und den Energiefluss zu dirigieren scheint, wünscht man sich für die Bilder von „Intensional Particle“ eine räumlichere Projektionsfläche, die den menschlichen Körper ganz umgibt und nicht nur hinterleuchtet. Überhaupt werden die Wünsche nach diesem hybriden Abend vermutlich in alle möglichen Richtungen stieben. Das bringt es so mit sich, wenn verschiedene künstlerische Disziplinen, Publika und Erwartungen ganz neu gemischt werden.
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