Ihre Großeltern waren überzeugte Nazis, ihr Vater ein radikaler Kommunist. Die Mutter, eine Pazifistin, galt als paranoid. „Sie erzählten mir“, betont Ana Lessing Menjibar immer wieder. Sie, die vor ihr Geborenen, deren Leben und Vergangenheit ihren Schatten auf ihr, Menjibars, Leben werfen. Was die deutsch-spanische Choreografin und Tänzerin in ihrem Solo versucht, ist ein Gespräch mit der Vergangenheit. Über die Gegenwart.
In Koproduktion mit dem tanzhaus nrw ist dieses Tasten ins Unbekannte entstanden; ihre Premiere feierte die Arbeit bereits vor gut einem Jahr in den Berliner Uferstudios. Im Dresdner Zentralwerk bekommt sie in dem großzügigen Saal den ausreichenden Raum zum Atmen. Genau diesen Raum braucht Ana Lessing Menjibar auch für das, was man durchaus als eine Art Geburt lesen kann. In ihr arbeitet „es“ sichtbar, hörbar auch in frequenzartigen Geräuschen aus den Lautsprechern, wie Wellen, die sich zu Tönen entwickeln könnten. Sie sitzt auf dem Boden, durchdrungen von Energie, die sich zu rhythmischen Bewegungen anzutreiben scheint, wie fremdgesteuert. Sie ist es nicht selbst.
Der innere Druck bleibt
Will da etwas raus aus ihr? Genießt sie diesen Zustand? Das lässt sich nicht beantworten, weil ihr Körper als Hülle immer wieder für ein neues, anderes Wesen zu dienen scheint. In eingesprochenem Text ist die Rede von einer Chimäre, von einem Mythos. Der innere Druck in ihr bleibt über die gesamte Länge der Performance bestehen. Die Dramaturgie trägt dabei mühelos über die 60 Minuten. Und das, obwohl sie sich im Prinzip nicht an das Publikum richtet. Es ist Menjibars eigener, innerer Kampf, dessen Zeuge das Publikum werden darf. Sie bleibt dabei allein, aber nicht allein gelassen.
Es ist das Auseinandersetzen mit persönlichen Einstellungen, Positionen und Handlungen, der individuellen Geschichte eines Lebens. Was macht es mit einem, wenn die Großeltern Nazis waren? Menjibar agiert gegen das Schweigen, so wörtlich, gegen das Schweigen, das die Toten verstummen lässt. Es ist das nicht Verstandene, das sie umtreibt. Transverbale Verbindungen sind es, nach denen sie sucht. Deshalb wählt sie die Ausdrucksform der Bewegung, des Tanzes. Menjibar kommt aus dem Flamenco. Das ist wird schnell deutlich. Sie nutzt dessen Einflüsse, das innere Feuer, die unbändige Kraft, um kämpferisch aufzutreten. Das ist phasenweise sehr laut und durchdringend, mit live eingespielten Drums (Philipp Kullen). Damit wird sichtbar, wie sich Erinnerung im Körper fühlen lässt. Deshalb klingen manche Töne auch rhythmisch wie der Schlag eines Herzens. Und dieses Herz, es hört nicht auf, zu schlagen.
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