„Cloudland“ - Gastspiel des Queensland Ballet in Kiel

Prosecco statt Champagner

Kiel, 20/10/2007

Frischer Wind aus Down Under fegt durch das Kieler Opernhaus: Das australische Queensland Ballet erobert mit furiosem Tanz die Herzen und Sinne der Zuschauer im Sturm. Mit „Cloudland“ hat Ballettchef Francois Klaus, jahrelang Solotänzer bei Neumeier, seinem Ensemble die Story von einer nostalgischen Tanzhalle in Brisbane, Hauptstadt von Queensland im Nordosten Australiens, auf den Leib choreographiert. Als Grundmaterial dienen ihm Gesellschaftstänze vom Jive bis zum Twist, die er mit ballettösen Sequenzen wie wirbelnden Drehhebungen, Sprüngen, hohen Beinen klassisch grundiert würzt und erweitert. Spitzenschuhe gehören zur Grundausstattung. Seine Frauen und Männer laden die oft auf vordergründige Wirkung gestrickten Nummern temperamentvoll auf, überdecken so meist Schwächen der Choreografie.

Hintergrund der 1942 im II. Weltkrieg beginnenden, sehr löchrig gestrickten Story sind die Begegnungen amerikanischer und australischer Soldaten in dem Ballroom „Cloudland“. Sie werben um die Frauen, sind im Krieg Verbündete gegen Japan, aber hier Konkurrenten. Über kleine Reibereien, Streitigkeiten steigern sich die Auseinandersetzungen bis zu wilden Schlägereien. In die Abfolge streut Klaus Episoden und Episödchen um die Hauptfiguren ein. Eine Einsame, Christina genannt (in edler Schönheit fast makellos getanzt von Rachael Walsh), durchläuft quasi wie ein roter Faden das Geschehen; sie gewinnt einen Geliebten (Zachary Chant gibt den zuverlässigen Partner ohne schärferes Profil), verliert ihn im Krieg, was sie zu einem Trauertanz treibt, dem Francois Klaus Klischees der pathetischen Gebärde ohne eigene individuelle Note beigibt.

Als komischer Gegensatz wirkt Alfred, der bebrillte Matrose, den Nathan Scieluna knochentrocken mit einer gehörigen Prise Selbstironie verkörpert. Nie kommt er im ersten Anlauf bei den Frauen an, reiht sich dennoch unverdrossen immer wieder ein in die Reihen der Tänzer/innen. Dabei zeigt Scieluna eine atemverschlagende Dynamik und Präzision, punktgenaue Landungen und Endposen, exakten Rhythmus und intensive Präsenz: der Gewinner des Abends, vor seinen tüchtigen Kollegen. Am Ende findet er seine Brillenschlange (Amelia Waller) in einem gewollt umständlichen Pas de deux.

Komik 2: Zwei Putzfrauen vollführen einen Besentanz und verwandeln sich in kesse Partygirls (knackige Akzente setzen Simone Weber und Melissa Tattam). Mit dem Acrobatic Duo (Amelia Waller, Philipp Ambrose verkaufen die Nummer gekonnt) versucht Klaus, ein auflockerndes Showelement einzubringen. Er zeigt, wie nahe Tanz und Varieté beieinander liegen. Spektakuläre Hebungen, auch mit einem Arm, Biegungen der Frau – Zirzensik, die Klaus auswalzt bis zur Langeweile. Da fehlt ihm der Sinn für das passende Timing, wie etwa auch bei dem später folgenden Walzer des Debütantenballs. Oder den lateinamerikanischen Tänzen, absolviert in papageienbunten Kostümen, denen Klaus fast jede Sinnlichkeit ausgetrieben hat. Raum gibt er seinen Leuten, pure Power zu verströmen. Er lässt die engagierten Männer mal im Block sprunggewaltig über die Rampe kommen, gibt dann den ansehnlichen Frauen Gelegenheit, Beine, rasante Dynamik und auch Erotik zu zeigen. Die Tanzlust quillt dem Ensemble aus allen Poren. Klaus kann offenbar motivieren zur absoluten Hingabe, nicht die schlechteste Eigenschaft eines Ballettchefs.

Die Songs und Instrumentalstücke von Golden Earrings über „Take the A-Train“, „Sing Sing Sing“, „What now my love“ bis zu „I´ve seen that face before“ spielt mit gehörigem Drive und Swing live die Band Blackwood, der nur der Walzer fad gerät. Schließlich wird die Tanzhalle abgebrochen, Staubwolken steigen auf, eine Scheinwerferbrücke birst. Christina schreitet noch einmal in die Vision der vergangenen Welt des Ballrooms „Cloudland“. Mit ihrem Geliebten tanzt sie ein Pas de deux zu den Klängen des genialen Schmachtfetzens „Meditation“ aus „Thais“ (Jules Massenet) – und man meint vom Bewegungsduktus her die Finalszene von“ Romeo und Julia“ zu sehen.

Francois Klaus, seit 1998 Leiter der Kompanie, für die er Nussknacker, die kleine Meerjungfrau, Dornröschen, Romeo und Julia, Carmen, Alice in Wonderland, Don Quixote, Sommernachtstraum und weitere Ballette choreographiert hat, hat meiner Meinung nach mit „Cloudland“ eine netten Unterhaltungsabend geschaffen, hat statt Champagner Prosecco der mittleren Preisklasse, mit kurzem Aufschäumfaktor serviert. Dem Publikum ist’s recht: Mit Standing Ovations belohnt es die fulminanten Tanzleistungen des mitreißenden Ensembles aus Australien. Vielleicht rührt die Begeisterung nicht nur daher, sondern auch von der Augenlust, wieder einmal puren Tanz ohne Tanztheaterlast zu sehen. Das Queensland Ballet, gegründet 1960, mit Sitz in Brisbane (1,6 Millionen Einwohner) zieht auf seiner Tournee weiter nach Remscheid, Minden, Friedrichshafen, Leverkusen sowie Baden in der Schweiz. Queensland im Nordosten Australiens ist übrigens etwa fünf Mal so groß wie Deutschland, mit ungefähr einem Zwanzigstel an Einwohnern.

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