Eva-Maria Lerchenberg-Thöny

Die neue Tanztheaterchefin am Staatstheater Braunschweig

Braunschweig, 05/09/2007

Eine Zielstrebige. Eine Künstlerin, die hinspürt, was ihr als Ziel im Leben aufgegeben ist. Schon als junge Tänzerin im Ballett der Bayerischen Staatsoper, obgleich hochgewachsen, lange Beine, endlose Arme, Schwanenhals - vom Gesichtsschnitt bis zum gewölbten Fußspann die ideale Ballerinen-Erscheinung - weiß sie ziemlich schnell, dass das rein Klassische nicht ihr Weg sein kann. Das Moderne ist ihr Fach. Sie kündigt, studiert ganz neu in London, tanzt dann in Krisztina Horváths modernem Ensemble in Osnabrück. Dort lernt sie auch ihren zukünftigen Mann, den Schauspieler Michael Lerchenberg, kennen. Für viele Tänzerinnen Ende zwanzig ist die Ehe ein willkommener Ruhehafen. Nicht für Lerchenberg-Thöny. Sie wirft sich in die riskante Laufbahn der freien Choreografin und Kompanie-Chefin. Ihr Tanz-Tanztheater tourt durch Deutschland, durch die Welt, auch entsandt vom Goethe-Institut. Stationen sind Moskau, Kiew, Nowgorod, Krakau, Tunis, Belém, Kairo, nach der Geburt ihres Sohnes den Kleinen immer im Tourneegepäck. Kraftakte. Die braucht sie.

Dann ruft ihre Heimatstadt Innsbruck, wo sie in drei Jahren am Landestheater ein österreichisches Vorzeigeensemble aufbaut, auch das Festival „Tanz Theater Tanz“ gründet und den Internationalen Tanzsommer Innsbruck initiiert. Es folgt eine Tanzdirektion am Theater Augsburg. Zu diesem Zeitpunkt hat sie alles gelernt, zwischen dem allein-verantwortlichen, selbst-organisierenden „freien“ Status und der auf andere Art fordernden etablierten Position. Und mit einem beachtlichen Repertoire, mit ihrem prägnanten, dynamisch-dramatischen „Thöny“-Stil hat sie sich als Choreografin, als Künstlerin bewiesen, konnte sich durch Preise des Freistaates Bayern, der Stadt München, Festivaljury- und Publikumspreise bestätigt fühlen. Jetzt könnte sie rasten, ihrem Mann, inzwischen Intendant der Luisen-Festspiele in Wunsiedel zu Seite stehen. Tut sie. Sie schreibt Kinderstücke, inszeniert sie selbst.

Aber - für sie ist es, muss es doch der Tanz sein. Den Zuschauer in seinen ureigenen Problemen ansprechen, über den Intellekt hinweg, unmittelbar durch die Sprache des Körpers. Alle ihre Arbeiten sind bewegte Kraftbilder menschlicher Sehnsüchte, Abgründe, Zerrissenheiten, oft nach literarischen Vorlagen. So entstanden „Bluthochzeit“, „Yerma“, „Der Idiot“, „Woyzeck“. Oder es sind kritische Analysen gesellschaftlicher Zustände wie ihr frühes „Lamento - die Klage der Frauen gegen den Krieg“, wie „Rosa Winter - die leidvolle Geschichte einer Sinti“ und „Tod einer Nonne“, nach der wahren Geschichte der ermordeten amerikanischen Nonne Dorothy Stang, einer Kämpferin für die Rechte der landlosen brasilianischen Bauern.

Auch die Form ist ihr wichtig, aber nicht als Experiment. Nicht als Post- und Postpostmoderne, sondern als Gefäß für Inhalt, als körperliche Synchronübersetzung von Gedacht-Gefühltem. Form und Inhalt sind im Grunde bei ihr Eines, so wie es der Modern Dance der großen Martha Graham fordert, auch wenn Eva-Maria Lerchenberg-Thöny durch den Einfluss des Balletts, durch zeitgenössische Tendenzen und die eigene kreative Freiheit ihre ganz persönliche Linie gefunden hat, weg von und über das „contract - release“ hinaus, Grahams atemgebundenes Prinzip der An- und Entspannung. Aber es ist bei Lerchenberg-Thöny - mit ihrer phänomenalen Biegsamkeit - immer noch die Körpermitte, aus der sich Tanz und Tanzdrama entwickeln. Aus diesem Kraftzentrum explodieren Aufbegehren, Leid, Aggression und Widerstand in gewaltigen Wellen - der Torso, die hohen Beine, die weit ausgreifenden Arme dabei gleichsam die Waffen der Klage, des Aufschreis und Protests.

Und immer hat sie vermocht, ihre Ensembles auf diesen kraftvoll dramatischen Stil einzuschwören (ein Blick in ihre DVD genügt), ganz so, als ob alle ihre Tänzer mit den gleichen körperlichen Möglichkeiten ausgestattet wären wie sie selbst, ohne ihnen jedoch ihre Persönlichkeit zu nehmen.
Hinter der Homogenität ihrer Ensembles, ob in Innsbruck oder Augsburg, stand ihr eiserner Wille, ihr Perfektionismus - und ihr vollkommen ehrliches Engagement, das die Tänzer zu Höchstleistungen motiviert, das auch die Zuschauer nicht unberührt lässt. Berühren, bewegen, das ist ihr Ziel: nicht die Insider frappieren, sondern das breite Publikum erreichen, mit ihrer Sprache - dem Tanz. Eine Sprache, die für sie wandelbar ist, immer bereit für Veränderungen, offen für die Zukunft.

Drei Mal Gelegenheit, sie und ihr Braunschweiger Ensemble kennenzulernen, noch vor ihrer Saisonauftakt-Premiere „And I love you so...?“ am 27. Oktober - und in einer Einführungsmatinée am 14. Oktober im Kleinen Haus tanzen Ensemble-Mitglieder Ausschnitte aus der anstehenden Premiere, die Tanzchefin kommentiert und stellt sich den Fragen des Publikums. So viel kann schon verraten werden: „And I love you so...?“ ist eine Folge von ganz unterschiedlichen Szenen - von getanzten Reflexionen über die Liebe. Die Liebe in ihrer Verzweiflung, ihrem Kampfgeist, ihrer Verletzlichkeit, in ihrer Erfüllung und Entsagung. Dieses nie ganz enträtselte Gefühl für den anderen wird aber auch skeptisch befragt (das Fragezeichen im Titel...). Die Liebe auf jeden Fall, wie sie die Piaf, eine ewig Liebende, so unnachahmlich besungen hat.

Neben den Piaf-Chansons hat die Choreografin auch ein Lied der bekannten Braunschweiger Liedermacherin Vanessa Maurischat verwendet, die bei der Matinée anwesend sein wird. Mit Künstlern der Stadt zusammenzuarbeiten, ist, wie Lerchenberg-Thöny erklärt, eines ihrer Langzeitziele.
Beim Theaterfest am 22. September kann man hineinschnuppern ins tägliche (klassische und moderne) Training. Mit verschiedenen choreografischen Kostproben macht das Ensemble neugierig auf das zu erwartende Repertoire. Und lädt am 30. September beim ersten Tanztee in den Tanztheatersaal im Park zum entspannten Gespräch.

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