Funkelnder Schein und tiefste Innerlichkeit

John Neumeiers „Kameliendame“ zurück in Paris

Paris, 13/07/2008

Nur zwei Jahre nach der Erstaufführung im Palais Garnier hat sich John Neumeiers und Jürgen Roses „Kameliendame“ im Repertoire des Balletts der Pariser Oper etabliert, als sei sie schon immer dort getanzt worden – und wo wäre dieses Porträt der feinen Gesellschaft der Operngänger und ihrer demimondänen Begleiterinnen im Paris des 19. Jahrhunderts auch besser aufgehoben als in jenem opulenten architektonischen Schmuckstück aus dem Jahre 1875? In unmittelbarer Nähe sowohl der fiktiven als auch der wirklichen Originalschauplätze – bekanntlich inspirierte sich Alexandre Dumas fils für seine Geschichte des tragischen Liebespaares Marguerite Gautier und Armand Duval durch eine von ihm selbst durchlebte Episode – führt die Kameliendame dort eine neue, ganz eigene Pariser Existenz.

Passend zur schillernden Pracht des Rahmens verschieben sich – verglichen mit der Stuttgarter Fassung – hier manche Akzente ins Elegantere, Glänzendere, Opernhafte. Dies beginnt schon mit Jürgen Roses neu angefertigter Ausstattung: Jedes Collier, jedes changierende Cape strahlt hier heller, als man es je gesehen zu haben glaubt, und die raffinierte Pariser Gesellschaft agiert und wogt wie ein rauschendes Meer aus Samt und Satin. Vor diesem schillernd-bewegten Hintergrund haben es Marguerite und Armand nicht immer leicht, ihre aus dem tiefsten Inneren hervorströmende Geschichte, die oft von Blicken und kleinen Gesten lebt, zu erzählen. Doch haben die Tänzer der Pariser Oper nicht nur in der Technik, sondern auch darstellerisch Sicherheit im Umgang mit Neumeiers anspruchsvollem Werk gewonnen. Besonders die etablierten Besetzungen konnten sich dank ihrer Erfahrung noch stärker entfalten: So erwiesen sich beispielsweise Eleonora Abbagnato und Benjamin Pech, schon bei der Erstaufführung ein Paar von hoher dramatischer Intensität, diesmal als noch natürlicher und subtiler in ihrer Interpretation.

Doch gab es auch einige interessante Neuzugänge, beispielsweise die grazile Delphine Moussin, die an der Seite des Armand der Pariser Erstaufführung, Manuel Legris, zum ersten Mal in das Kleid der Marguerite schlüpfte. Als Gast war diesmal der temperamentvolle Italiener Roberto Bolle geladen, der mit seiner makellos eleganten Partnerin Agnès Letestu an Virtuosität rivalisierte. Diese Besetzung wurde des weiteren durch die Präsenz von Michaël Denard, ehemaliger Star der Pariser Kompanie und ehemaliger Direktor der Deutschen Oper Berlin, veredelt, der als Monsieur Duval nicht nur seine außergewöhnliche Bühnenpräsenz, sondern auch sein schauspielerisches Talent einbringen konnte, das er im Laufe einer langen Karriere auf Opern- und Theaterbühnen zu großer Vollendung herausbilden konnte.

Als besonders harmonisch erwies sich in den Hauptrollen die Partnerschaft von Clairemarie Osta und Mathieu Ganio. Beide meistern seit ihren Debüts vor zwei Jahren nicht nur die zahlreichen Schwierigkeiten der Choreografie noch müheloser – Hebungen und Bewegungsfolgen sind flüssiger geworden und die technischen Fußfallen stehen der Expressivität immer weniger im Weg – sondern haben auch ihre Interpretation verfeinert und weitere Details herausgearbeitet, ohne dabei die große Authentizität zu verlieren, die beide auszeichnet. Clairemarie Osta ist als Marguerite vielleicht noch verinnerlichter geworden – sie strahlt kaum und findet doch Wege, ihre Gefühle durch Blicke und Mimik auszudrücken. Mathieu Ganio ist ein Armand voller Sensibilität und Eleganz, dem es weder an Hingabe noch an Leidenschaft und Fatalismus fehlt; darüber hinaus hat er verstanden, dass in diesem Ballett keine Bewegung nur um ihrer selbst willen da ist.

In den weiteren Rollen beeindrucken besonders Delphine Moussin und José Martinez als Manon und Des Grieux, Myriam Ould-Braham als kokette Olympia, sowie Josua Hoffalt als Gaston Rieux – in seiner Interpretation ist dieser vergnügte Lebemann nicht weniger aufrichtig, sondern lediglich jünger, sorgloser und weniger romantisch veranlagt als Armand.

Auch die Musik, die Neumeier mit so erstaunlichem Gespür verarbeitet hat und die das Geschehen mindestens ebenso sehr trägt wie begleitet, wurde unter der Leitung von Michael Schmidtsdorff weitgehend überzeugend interpretiert. Bald wird auch dem deutschen Publikum die Pariser „Kameliendame“ auf DVD zugänglich sein, mit Agnès Letestu und dem kurzfristig für den verletzten Hervé Moreau eingesprungenen Stéphane Bullion in den Hauptrollen.

 

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