Kennengelernt habe ich sie erst, als ich nach München kam und sie die führende Solistin des Balletts des Staatstheaters am Gärtnerplatz war. Aber auf der Bühne gesehen habe ich sie schon viel früher, als sie nämlich bei den Wuppertaler Bühnen eine ähnliche Position innehatte. Ich erinnere mich sehr gut an eine der ersten „Schwanensee“-Aufführungen, die ich gesehen habe. Und es war auch die erste Fassung, in der die Doppelrolle der Schwanenprinzessin Odette/Odile nicht von ihr allein getanzt wurde, sondern zusammen mit Anita Barth, die, wenn mich nicht alles täuscht, später ebenfalls in München – oder war das Berlin? – an der Staatsoper Aufsehen erregte. Ich erinnere mich auch an „Coppélia“ und „Cinderella“, das ihr Mann Ivan Sertic in Wuppertal herausbrachte. Den Erfolg mit dieser Version haben beide auch in München genießen können.
Aber dann wurde ich ja als Ballettchef am Gärtnerplatztheater engagiert und übernahm die Produktion. Ich musste ihr verkünden, dass mit vierzig+ ihre Zeit in einer Teenagerrolle wohl doch abgelaufen war, bot ihr allerdings an, eine der Stiefschwestern zu übernehmen. Als Pendant zu Uschi Heimerer, die im Gegensatz zu Ludmilla klein und rund war. In dem Gespräch, das wir damals hatten, schluckte sie zweimal und erwiderte mir dann, dass sie es machen würde, wenn sie einige Kleinigkeiten verändern könne. Für mich war das kein Problem, solange ihr Mann einverstanden sei. Er war es, und die beiden Furien Ludmilla und Uschi waren ein Show-Stopper, wenn ich das sagen darf.
Dass die Ballerina aus Zagreb, die nach der Ausbildung ihre ganze Karriere in der BRD gemacht hat, mit den Stationen Frankfurt (noch bei Tatjana Gsovsky), Heidelberg und Lübeck, ein so komisches Talent unentdeckt mit sich herumtrug, konnte ich allerdings nicht ahnen. Denn im täglichen Leben ist sie alles andere als komisch und es hat eine Weile gedauert, bis wir ein gewisses Misstrauen durch freundschaftliches Miteinander ersetzen konnten. Übrigens hatte Pina auch so ein Talent, aber sie ließ es nur im ganz kleinen Kreis heraus, aus Angst, man könne sie verkennen. In diesem Zusammenhang fällt mir auch ein, dass die Bausch, wenn sie jemals zusammengearbeitet hätten, Ludmilla mit ihrer Ernsthaftigkeit geliebt hätte.
Und gleich fällt mir neben vielen anderen Dingen noch etwas ein: Als es mir endlich gelang den „Grünen Tisch“ – mein Leib- und Magenstück – nach München zu bekommen, und ich mit Anna Markard, die das Stück einstudierte, die Besetzung durchsprach, kam die Rolle der „Alten Mutter“ ins Gespräch und ich schlug Ludmilla vor. Anna schlug das sofort aus, mit der Begründung: „die ist dafür zu alt!“ Und tatsächlich hatte Kurt Jooss, der Erfinder dieses genialen Stücks, schlechte Erfahrungen mit älteren (Ausdrucks-)Tänzern gemacht, weil sie ins Pathos verfielen. Also meinte Anna, sie könne die „Partisanin“ machen, die einen Soldaten umbringt. Ich gab zu bedenken, dass das Solo technisch auch von jüngeren alles abverlangt, aber sie blieb bei ihrer Entscheidung. Ludmilla hat sowohl technisch, als auch von der Interpretation alles rübergebracht, was man sich wünschen kann und erst zur dritten Wiederaufnahme, also zwei Jahre später, durfte die Ausnahmekünstlerin zeigen, dass sie sehr wohl eine Alte spielen kann, ohne Sentimentalitäten – und durfte so ihre Knochen etwas schonen, für die letzten drei Spielzeiten.
Auf Ludmilla war immer Verlass, ohne Rücksicht auf sich selbst. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie jemals krank wurde und eine Vorstellung absagte. Sie verlor auch nicht die Contenance, als während der Ouvertüre von „Nussknacker“, die bei offenem Vorhang lief, einer der Jungs vor der Bescherung durch einen Unfall auf dem Flur ausfiel und ich selbst in das Kostüm schlüpfen musste. Ludmilla, die mir nichtsahnend als Großmutter auf der Bühne begegnete, musste sich kurz abwenden. Niemand sonst hat es gemerkt, da ich meist mit dem Rücken zum Publikum agierte ...
Ich kenne keine Tänzerin, die es geschafft hat, gesund und vor allem nicht frustriert, exakt bis zur Verrentung auf der Bühne zu stehen, Teil eines Ensembles zu sein, auch als Trainerin zu agieren und von der Kompanie durch ihre bestimmende Freundlichkeit angenommen zu werden.
Manchmal treffen wir uns im Bus, der zum Marienplatz fährt. Das sind bei viel Verkehr zehn Minuten und wenn wir dann die Letzten sind, die aussteigen, haben wir noch längst nicht alle Neuigkeiten ausgetauscht. Dann müssen wir losrennen, damit wir nicht zu spät zu unseren Terminen kommen – das würde zu Ludmilla gar nicht passen. Hoffentlich fährt der Bus bald wieder, gerade sind überall Baustellen ...Auf dein Wohl hebe ich mein Glas und wünsche dir nur das Beste!
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