Das Kroatische Nationalballett mit „Johannes Faust Passion“

oe
Ludwigsburg, 17/09/2002

Für ihre herbstliche Saison im Ludwigsburger Forumtheater sind die Wünschelrutengänger der Stuttgarter Kulturgemeinschaft, immer auf der Suche nach einem Ballett-Schwergewicht, diesmal in Zagreb fündig geworden. Und so haben sie die „Johannes Faust Passion“, Choreodrama in 12 Bildern, für zehn Vorstellungen ins Theater am Schlossgarten eingeladen. Sehr zum Dank des Publikums offenbar, das es genoss, zwei Stunden lang in Erinnerungen an jene Zeit zu schwelgen, als die Welt des Balletts noch heil war, die Choreografen noch kompakte, handfeste Geschichten erzählten, die Ausstatter sich voll aus dem Fundus bedienen konnten und die Männer noch richtige Kerle und die Frauen noch wunderbar keusche Jungfrauen waren.

Wir haben unser „Abraxas“-Ballett und sie auf dem Balkan ihre eigenen Faust-Traditionen. Und so haben sie den Stoff von dem gelehrten deutschen Doktor, seiner Sehnsucht nach ewiger Jugend und seinem Bündnis mit Mephisto, mit all den schlimmen Folgen, in ihre von eigenen Legenden gespeiste Folklore überführt und darum herum ihre mittelalterliche Folkshow arrangiert, mit deutschen, lateinischen, vermutlich auch kroatischen und jedenfalls hebräischen Texten garniert und einem von Neven Franges arrangierten Medley aus Bach und allen möglichen mittelalterlichen Quellen à la „Carmina burana“ akustisch möbliert – nach einem Libretto und in der Choreografie und Regie von Milko Sparemblek. Der galt einmal in den fünfziger und sechziger Jahren als einer der Hoffnungsträger des jungen jugoslawischen Balletts, setzte sich auch besonders für die Ballette seines Stuttgarter Landsmannes Milko Kelemen ein und schien der Ballettinternationale seither weitgehend abhandengekommen.

Sparemblek, inzwischen Mitte siebzig, ist jedenfalls ein ausgepichter Handwerker und erfahrener Ballett-Dienstleister, der seine Tänzer und sein Publikum mit kalorienreichen Tänzen aller Art bestens bedient. Und so gerieren sie sich denn als Ältere, Verstorbene (ja auch als solche), als Jünglinge und Mädchen, Verführerinnen und Gebärerinnen, als Gaukler, Volk und Soldaten, als Dämonen, Homunculi und Walpurgisnächtler und, besonders enervierend, als ewige Spaßmacher und Possenreißer – quasi der ganze Kosmos als Ballettpopulation.

Das ist in der farbenfrohen Ausstattung von Nenad Fabijanic und Ika Skomrij hübsch anzusehen, mäßig unterhaltsam, mit zahlreichen, besonders gegen Schluss sich häufenden Ritardandi, aber auch immer wieder rettenden massiven, eskalierenden Massenformationen, und wird von den Zagrebern mit selbstvergessenem Enthusiasmus getanzt, als glaubten sie, moderne Menschen, die sie sind, allen Ernstes daran, Johannes Faust (Tomaž Rode), Edina Licanic (Margarethe), Ilir Kerni (Mephisto) und Lilith (Amira Osmanovic) zu sein.

Mehr Licht! Tönt es anfangs und am Schluss wie Donnerhall durch den in nächtlicher Finsternis daliegenden Zuschauerraum. Es wäre wünschenswert, wenn es in näherer Zukunft auch bis nach Zagreb durchdränge!

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern