Der Fall Aachen

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Aachen, 28/09/2002

Nach Aachen, „Street Scenes“ wegen, Kurt Weills Broadway-Oper aus dem Jahr 1947, seine urbanistische Antwort auf George Gershwins folkloristisches „Porgy and Bess“. Die Oper hat eine fulminante Tanznummer, ein Duo „Moon-faced, starry-eyed“, eine Art Vorläufer des Rock´n´Roll. Die war schon bei der europäischen Erstaufführung 1955 in Düsseldorf ein durchschlagender Erfolg (getanzt von Lucie Küfer und Walter Cuhaj – ob sich wohl sonst noch jemand daran erinnert?).

Sie war es dann auch in allen Folge-Einstudierungen, etwa in München, Freiburg und zuletzt in Ludwigshafen/Berlin – und sie war es auch jetzt wieder in Aachen, wo Stefanie Verkerk und Andreas Joost, einstudiert von Martin Schutt, über die Podeste turnten, dass die Fetzen nur so flogen – unbestreitbar der Hit der im Übrigen ziemlich faden und lustlosen Inszenierung von Bruno Klimek (umso aufregender und authentischer das Debüt des neuen Aachener Generalmusikdirektors Marcus R. Bosch als elektrisierender Dirigent der Produktion). Was einmal mehr bewies, welche eine Adrenalinspritze solche Tanznummern – heutzutage oft gestrichen – Aufführungen versetzen können, die im Übrigen routinemäßig vor sich hin läppern. Ich hätte mir gewünscht, auch das Eiscreme-Sextett und das „Wrapped in a ribbon“-Ensemble choreografiert zu sehen – was zweifellos zur Belebung der Aktion beigetragen hätte.

Ich schlug im Aachener Spielzeit-Heft 2002/03 nach und fand dort keinen der drei Namen verzeichnet – weder unter den Sängern noch unter den Schauspielern und auch nicht unter den Regievorständen. Und unter den Tänzern? Da staunte ich nicht schlecht: die Sparte Tanz gibt es überhaupt nicht am Theater Aachen. Da rühmt der Intendant in seiner Abo-Einladung zwar noch „In Oper, Schauspiel, Tanz werden 26 Produktionen einen Bogen von der Antike bis zur neuesten Zeit spannen“ – und da gibt es auch einen zweiseitigen „Tanztheater“-Teil: die Ankündigung einer Uraufführung „Kronophobia“ als Koproduktion mit dem Do-Theater St. Petersburg in den Kammerspielen mit immerhin sieben Vorstellungen – aber das war´s dann auch!

Denke ich an die Nacht-Seance der St. Petersburger mit der „Anatomie des Doktors Tulp“ bei der Düsseldorfer Tanzmesse zurück – eine restlos ausverkaufte Vorstellung, zusätzliche Stehplätze, und am Schluss waren dann allenfalls gerade noch ein Viertel der Besucher übrig geblieben – wage ich mir nicht vorzustellen, wie diese neue Produktion bei den inzwischen gründlich tanzfrustrierten Aachener Kammerspiel-Abonnenten ankommen wird. Auch so kann man das Publikum aus dem Hause vergraulen. Dabei hatte auch Aachen einmal ein durchaus funktionierendes Stadttheater-Ballett. Doch wenn sich schon nicht einmal Köln heute noch eine eigene Kompanie leistet ...

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