Der vierte deutsche Musicalkongress in Hamburg

Hamburg, 03/09/2002

Vom 30.8. bis 2.9. fand in Hamburg der vierte deutsche Musical-Kongress statt, der wiederum von der GUBK, der Gesellschaft für unterhaltende Bühnenkunst und ihrem Vorsitzenden Wolfgang Jansen organisiert wurde. Beim diesem regelmäßig alle zwei bis drei Jahre stattfindenden Branchentreff des unterhaltenden Musiktheaters stehen statt der wirtschaftlichen eher künstlerische Aspekte im Vordergrund; vor allem aber nützen die übers Jahr in den Feuilletons geprügelten Musicalschaffenden - ob Intendanten, Regisseure oder Autoren - die Gelegenheit, sich wieder gegenseitig Mut zu machen.

Die Hauptveranstaltungen waren fünf große Podiumsdiskussionen, zwei Abende mit Ausschnitten aus neuen, im Entstehen begriffenen deutschen Musicals und eine Musicalmesse. Ergänzt und umrahmt wurde der Kongress von einem Showprogramm und einer Plakatausstellung. Zum ersten Mal richtete der Kongress den Blick über die Grenzen des deutschen Sprachraums hinaus auf das Entstehen eines europäischen Musical-Netzwerkes. Neben vielen Vertretern des britischen Musicals waren Autoren, Regisseure und Produzenten aus den Benelux-Ländern, Skandinavien und Tschechien nach Hamburg gekommen, also aus den großen europäischen Zentren des Musicals. Man diskutierte die unterschiedlichen Aufführungsstandards, verglich die Unterschiede in der Musicalausbildung und beschloss, sich weit intensiver auszutauschen und die spezifisch europäischen Stoffe und Theatertraditionen stärker herauszustellen.

Die ungleich erfahreneren, traditions- und vor allem erfolgreicheren Briten zeigten sich dabei erfreulich offen für Einflüsse und Ideen vom Kontinent. Auf deutscher Ebene stand das altbekannte Problem im Vordergrund, mehr gute Musicals in die Stadt- und Staatstheater zu bringen. Das bezieht sich nicht so sehr auf die Aufführungsqualität, die sich in den letzten zehn Jahren durch die Konkurrenz der großen Long-Run-Musicals stark verbessert hat und den Großproduktionen inzwischen oft Paroli bieten kann, sondern auf niveauvollere, seltenere und vor allem neue Werke. Natürlich sei auch die Unterhaltung ein Teil des öffentlichen Kulturauftrags, betonte Rolf Bolwin, der geschäftsführende Direktor des deutschen Bühnenvereins. Er beklagte gleichzeitig, dass gerade beim aktuellen Sparzwang in der Kulturpolitik manche Verantwortliche die privaten Musicaltheater fälschlicherweise immer noch als sprudelnde Geldquelle und damit als Alternative zum subventionierten Theater betrachten.

Beim Thema Ausbildung hat sich der Brennpunkt von den (inzwischen reichlich und in achtbarer Qualität vorhandenen) Musicaldarstellern zu den Textern und Komponisten verlagert. Michael Kunze, der Autor von „Elisabeth“, „Mozart!“ und „Tanz der Vampire“, erweist sich dabei immer stärker als Motor und Vaterfigur des deutschen Musicals. Beim Thema Autorenförderung brachte der Kongress neue Ideen auf den Weg und forderte eine erheblich intensivere handwerkliche Ausbildung, um die Qualität vor allem der Musicallibretti zu verbessern und die deutschen Nachwuchs-Autoren aus der autodidaktischen Ecke zu holen. Das geht einerseits die Hochschulen an, wo vielerorts das Musical noch immer zwischen der E-Musik und der Jazzabteilung als Stiefkind herumgeschubst wird, und geschieht andererseits durch Eigeninitiative: Kunze hat bereits eine Masterclass für Autoren gehalten, die GUBK veranstaltet regelmäßig Workshops, die Neuköllner Oper offeriert im März 2003 eine Librettowoche für Musiktheaterautoren. Kunze forderte außerdem die Stadt- und Staatstheater auf, ihre Bühnen für neue Werke, für Workshops und Experimente zu öffnen.

Über die aktuelle (und leider nicht besonders erfreuliche) Qualität des Autoren-Nachwuchses konnten sich die Kongressteilnehmer bei den „Works in Progress“-Abenden informieren, wo acht neue deutsche Musicals in Ausschnitten vorgestellt wurden. Aber selbst hier gab es sehr erfreuliche Lichtblicke wie das zwischen Kammeroper und Musical changierende, leise und faszinierende Werk „Hinter dem Spiegel“, das Lewis Carroll, den merkwürdigen Autor von „Alice im Wunderland“ porträtiert. Oder das Comedy-Musical „Da Capo al Fine“, eine leichenträchtige Stadttheater-Satire, deren hohes Maß an konfusen und absurden Vorgängen ihr ebenso großen Erfolg garantieren könnte wie die nach allen Seiten austeilende parodistische Musik. Der Musicalbesuch in Deutschland hat sich „auf einem hohen Niveau stabilisiert“, hieß es bei einem Vortrag über die aktuellen wirtschaftlichen Zahlen des Genres. Steht zu hoffen, dass sich die Qualität der Stücke auch noch dorthin bemüht.

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