Richard Merz über die Goldenen Regeln der Tanzkritik

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Stuttgart, 26/03/2002

Da erreicht uns aus dem fernen Ljubljana eine bescheidene kleine Schrift. Sie heißt "Dance Critique" und resümiert das Ergebnis eines Seminars, das, initiiert von Dr. Henrik Neubauer und organisiert von der Vereinigung slowenischer Ballettkünstler, im November 2000 in Ljubljana stattfand. Referent war Dr. Richard Merz, ein Mann, versiert in vielerlei Berufen, hierzulande bekannt vor allem als Tanzkritiker der Neuen Zürcher Zeitung. Unser Mann in Zürich ist ein Systhematiker par excellence, der offenbar viel über das Metier der Tanzkritik nachgedacht hat und hier nun über die Erfahrungen seiner langjährigen Praxis berichtet - in englischer und/oder slowenischer Sprache. Man wünschte sich seine Erkenntnisse als Pflichtlektüre jedes tanzkritisch ambitionierten Kollegen.

Die Kapitelüberschriften verweisen auf den Inhalt der ebenso knappen wie luziden Abschnitte. Es geht also um "Kritik und Kritiker", "Drei Hauptmöglichkeiten der Kritik" (Merz unterteilt sie in bloße Beschreibung, Zusätzliche Information und Beurteilung), dann differenziert er zwischen Musik- und Tanzkritikern. Ein längeres Kapitel befasst sich mit "Tanz und seine Werke", in dem er auf die lamentable Situation der Tanztradition eingeht, die praktische Nichtexistenz eines allgemein praktizierten Aufzeichnungssystems. Schließlich nimmt er "Die spezielle Stellung des Tanzes in unserer Kultur" ins Visier. Dann geht er mit "Die fragile Basis der Tanzkritik" in medias res.

Das umfangreichste Kapitel ist "Vorurteil und Urteil" überschrieben, in dem er gründlich mit den Klischees über den modernen Tanz und das klassische Ballett aufräumt und sie als verhängnisvoll irreführend entlarvt. Immer wieder pocht er darauf, sich eine möglichst breite Wissensbasis zu erarbeiten. Im Schlusskapitel befasst er sich dann damit "Wie man eine Kritik schreibt". Dabei unterscheidet er - wie eingangs - drei Phasen: Vorbereitung, Besuch der Vorstellung und Verfassen der Kritik - zu jeder dieser Phasen unterbreitet er seine auf langjähriger Praxis beruhenden Vorschläge. Es sind nur ganz wenige darunter, denen ich nicht beipflichten würde (wie zum Beispiel der Empfehlung, gleich nach der Vorstellung mit der Niederschrift der Kritik zu beginnen - wegen des enormen Zeitdrucks - oder auch, aus gleichem Grunde, mit der Vorwegfixierung der unverzichtbaren Information).

Doch es überwiegen entschieden die praktischen Ratschläge - und ganz besonders möchte ich unterstreichen, was er über die immer wieder vom Kritiker geforderte "Objektivität" sagt. Es sind die Worte eines welterfahrenen Schweizer Weisen, der die Aktivitäten und Praktiken seines Metiers von seinen eidgenössischen Gebirgsgipfeln überblickt.

Als Publisher des schmalen Bändchens ist angegeben: Drustvo baletnik umetnikov Slovenije 2001.

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