Tanz - MGGprisma

oe
Stuttgart, 07/01/2002

Vier Buchstaben als Titel, 252 Seiten, eine Herausgeberin (Sibylle Dahms) in Zusammenarbeit mit zwei Damen (Claudia Jeschke und Monika Woitas), weitere elf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (acht Damen, drei Herren), 31 Abbildungen, erschienen als Koproduktion der Verlage Bärenreiter und Metzler 2001 – und darin alles, was man über Tanz wissen sollte – für ganze 16,90 €.

Derart systematisch, klar und konzise habe ich sonst jedenfalls nirgends gelesen, was mir in Hinblick auf den Tanz wichtig erscheint – ganz sicher nicht in dem sechsbändigen Wälzer der amerikanischen „International Encyclopedia of Dance“. Da ist der Herausgeberin, unserer tanzwissenschaftlichen Grande Dame in Salzburg, ein bewundernswertes Kompendium gelungen, übersichtlich gegliedert gemäß den Kategorien Systematische Aspekte (Definitionen, Überlieferung und Tanzforschung), Antike (Alt-Ägypten, Griechenland und Rom), Gesellschaftstanz (Mittelalter, 15. bis Mitte des 16. Jahrhunderts, Ende des 16. bis Anfang des 18. Jahrhunderts, 18. , 19. und 20. Jahrhundert), Schautanz (Ballett, Ausdruckstanz, Modern Dance, Postmodern Dance, Zeitgenössischer Tanz) und Volkstanz (Definition, Funktionsbereiche, Volkstanzforschung, Volkstanznotation, Europäische Volkstanzformen und ihre Verbreitung, Geschichte des Volkstanzes, Volkstanzpflege und Folkloretanz, internationale Tänze) – zum Schluss 20 kleinstgedruckte Seiten Literaturverzeichnis und noch einmal dreizehn Seiten Abkürzungen. Fehlt – mir – nur noch ein Namens- und ein Sachwörter-Index.

Das Ganze ist ein Produkt der neu bearbeiteten zweiten Ausgabe der enzyklopädischen „Musik in Geschichte und Gegenwart“ – genau: das dort veröffentlichte Stichwort „Tanz“. Ich bewundere, wie es Dahms gelungen ist, auf derart knappem Raum derart viele exakt auf den Punkt gebrachte Informationen über das ganze Spektrum des Tanzes zu bündeln – und ich kann mir vorstellen, welch ungeheure Mühe es sie gekostet haben muss, die sicher im Original viel längeren Beiträge der einzelnen Mitarbeiter in diese konzise Form zu bringen. Wenn ich nur selbst halb so viel dessen wüsste, was auf diesen Seiten versammelt ist...! Nie zuvor habe ich so plausibel dargelegt gesehen, was denn nun genau unter dem „Postmodern Dance“ zu verstehen ist (Autor Robert Atwood), brillant finde ich auch, wie Norbert Servos das Tanztheater definiert und seine Vertreter charakterisiert (wobei ich annehme, dass der Lapsus der „eurhythmischen Harmonie“ nicht ihm anzulasten ist), und was Susanne Traub unter dem Rubrum Zeitgenössischer Tanz beisteuert, hat mich zumindest ansatzweise Bestrebungen verstehen lassen, die weit von meinem eigenen Tanzverständnis entfernt siedeln.

Eine Beobachtung am Rande: Wenn unter den namentlich aufgelisteten dreizehn Autoren dieses Bandes zehn Damen und drei Herren sind, so zeichnet sich hier eine feministische Vereinnahmung der Gattung Tanz ab, wie sie in dieser Dominanz in keiner der anderen Künste zu beobachten ist – weder in der Bildenden Kunst, nicht in der Musik, im Schauspiel, in der Oper oder im Film – und zwar betrifft sie sowohl die wissenschaftliche Erforschung des Tanzes (und diese ganz besonders) als auch die kritische und publizistische Berichterstattung über den Tanz. Dabei handelt es sich durchaus nicht um einen deutschen Sonderweg, sondern um ein ausgesprochen internationales Phänomen.

Kommentare

Noch keine Beiträge