William Forsythe und das Ballett Frankfurt bei den Schlossfestspielen

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Ludwigsburg, 15/06/2002

Von allen Gemischtwaren-Festivals bieten die Ludwigsburger Schlossfestspiele auch in diesem Jahr wieder das umfangreichste Tanzangebot – im Forum-Theater am Schlosspark, im Schlosstheater und in der Reithalle der Karlskaserne. Den Auftakt machte Sasha Waltz, der ich Roland Petit im Fernsehen vorzog (siehe kj vom 12.6. – in der Kritikenspalte des Tanznetz kann man nachlesen, wie Bernd Krause ihr Tanzstück „Körper“ beurteilte).

Jetzt kam William Forsythe mit seinem Ballett Frankfurt ins Forum-Theater, und Tout-Ballett-Stuttgart ließ es sich nicht nehmen, Stuttgarts Verlorenem Sohn seine Reverenz zu erweisen – die am Schluss geradezu tumultuarsche Formen annahm. Vier Stücke also mit vier englischen Titeln, unter denen man sich alles oder nichts vorstellen kann (wäre dergleichen wohl in New York denkbar: eine amerikanische Kompanie mit vier Stücken, alle mit mehr oder weniger rätselhaften deutschen Titeln?).

Nur das erste, „7 to 10 Passages“, mit englischem Text, der aber zum großen Teil im Sound-Bombardement von Thom Willems unterging – lediglich „The monster said“ schälte sich als gebetsmühlenmäßig wiederholtes Statement heraus. Die sechs Tänzer in völliger Isolation bewegen sich kaum von der Stelle, nur ganz langsam kommen sie ein paar Meter nach vorn und arbeiten sich dann wieder zurück und exekutieren dabei die verquersten Körperhaltungen – als ob sie Krankengymnastik à la Forsythe absolvierten.

Umso explosiv bewegter geht es dann im zweiten zu: „The Room as it Was“, wo vier plus vier Tänzerinnen und Tänzer mit Gespenstern zu kämpfen scheinen und dabei permanent zusammenzustoßen drohen, was sie aber gerade noch im allerletzten Moment zu verhindern wissen – ein Musterexemplar des Timings und ein Anschauungsmodell für die Vorbereitung auf die Führerscheinprüfung als Training zur Crash-Vermeidung.

Das dritte Stück heißt „Double/Single“ und malträtiert Bachsche Violinpartiten – auf der Bühne zwei Doppelbetten, von denen aber nur das eine als Spiel- und Tanzwiese für alles benutzt wird, was im Bett Spaß macht, wobei Forsythe eine geradezu unerschöpfliche Fantasie im Erfinden immer neuer flotter Dreier beweist.

Zum Schluss gibt es dann „One Flat Thing, Reproduced“, offenbar eine Neubearbeitung eines Exzerpts aus der früheren abendfüllenden „Befragung des Robert Scott“, in der fünfmal vier Tische reihenweise gestaffelt, von vierzehn Tänzern betanzt werden, mal als Plattform, dann wieder unten drunter, auch in waghalsigen Sprüngen von einem zum anderen und einer Fülle von tollkühnen Wurf- und Fangakten.

Das ganze Programm, von den Frankfurtern virtuos realisiert, wobei kein Tänzer dem anderen gleicht, sondern jeder Gelegenheit erhält, sich individuell zu profilieren, wirkt wie ein Experimentalstudio der choreografischen Elementarteilchen oder Gene für das Ballett des 21. Jahrhunderts. Kein Wunder, dass sich so viele Mini-Forsythes hier für ihre Genietaten freizügig bedienen.

Übermorgen geht‘s schon wieder weiter in Ludwigsburg – mit NDT III und Meryl Tankards „Merryland“.

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