Der Amerikaner Dennis Callahan ist als Choreograf der großen Wiener Long-Run-Musicals „Elisabeth“ und „Tanz der Vampire“ bekannt geworden, wo zu seinen Markenzeichen eine gewisse Coolness oder sogar Aggressivität gehörte - so etwa die zuckenden Schultern bei enganliegenden Armen oder das freche, fast trotzige Aufs-Publikum-Vorrücken seiner Ensembles. Nichts davon hier: Für „The Wild Party“ beim Musical-Sommer im österreichischen Amstetten hat Callahan eine stilreine, brillante Jazz- und Swingchoreografie geschaffen, die weltweit ihresgleichen sucht.
Der gesamte Abend ist im Stil der zwanziger Jahre choreografiert - und es gab viel zu tun für Callahan, denn zu fast jeder Nummer von Andrew Lippas swingender, brodelnder Jazzmusik wird getanzt. Das vor drei Jahren am Off-Broadway uraufgeführte Musical erzählt vom Vaudeville-Paar Queenie und Burrs - sie eine wasserstoffblonde Tänzerin, er ein zynischer, bösartiger Clown. Aus purem Überdruss aneinander geben sie die titelgebende „wilde Party“, auf der es ganz im Stil der hemmungslosen Zwanziger all das gibt, was eigentlich verboten ist: Alkohol, Drogen, Sex und schließlich auch Gewalt. Die Vorlage lieferte das gleichnamige Jazz-Age-Poem des Amerikaners Joseph Moncure March aus dem Jahr 1928, eine Art episches Langgedicht. Komponist und Texter Andrew Lippa erzählt die Handlung im Brecht/Weill-Stil von „Cabaret“, nur mit sehr viel mehr Jazz. Die halbnackten Girls und Boys fungieren oft als griechischer Chor, erzählten oder kommentieren die Handlung, alles zu pulsierenden Jazzbeats und mit knappen, sarkastischen Texten.
Aus seiner umfangreichen Kenntnis der Tanzstile des Jazz-Zeitalters steht Dennis Callahan dabei ein scheinbar unendliches Bewegungsrepertoire zu Verfügung: Er denkt sich Choreografien in allen nur erdenklichen Zusammenstellungen und Ensembles aus, arrangiert aufreizende Nummern in Strapsen oder im kurzen Charleston-Hängerchen, einen vollendeten Diva-Auftritt für Queenie, elegante Szenen in Frack, Zylinder und weißem Schal oder mit Bowler-Hat und Stock. Er knickt die Knie seiner Tänzer zu X-Beinen ein oder bringt die Charleston-Ladies in die typische Ganzkörper-Schräglage mit angewinkelten Händen. Mit nie nachlassender Fantasie kombiniert Callahan Elemente von Charleston, Shimmy oder Cake-Walk mit lateinamerikanischen Zutaten oder Vaudeville-Einlagen. Zu einem selbstquälerischen Song von Burrs tanzt im Hintergrund ein Tango-Paar, elegant und sinnlich zunächst, dann immer aggressiver - zwei, die nicht voneinander loskommen wie Burrs und Queenie. Durch die betrunken und bekifft schlafenden Partygäste tanzt ein einsamer, stummer Wachgebliebener ein nachdenkliches Solo - stets gelingt es der Choreografie, nicht nur effekt-und vor allem stilvoll auszusehen, sondern in idealer Kombination mit Werner Sobotkas Regie auch noch die Stimmung des jeweiligen Songs, der jeweiligen Szene einzufangen - vor allem den wilden Hunger nach Leben, von dem immer wieder gesungen wird.
Ausgeführt wird das alles mit absoluter Präzision und überkochender Begeisterung von einem exzellenten Musicalensemble, das nicht in Sänger oder Tänzer aufgeteilt ist, sondern sich ohne jede Ausnahme perfekt im Jazzstil bewegt. An alle in Bregenz, die meinen, sie hätten mit ihrer „West Side Story“ das Ei neu erfunden: Auf nach Amstetten. So macht man Musical!
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