Eine neue „Verkaufte Braut“ am „Opernhaus des Jahres“

oe
Stuttgart, 04/03/2003

Dies will keine Opernkritik sein und schon gar keine Ballettkritik (wie sich ja überhaupt, das muss immer mal wieder gesagt sein, das koeglerjournal nicht als primär kritische Stimme versteht, sondern eher als eine Art Tagebuch – mit allerdings kritischen Anmerkungen).

Schwer trägt das Stuttgarter Opernhaus an der Last seiner Dramaturgie. Die hat für Freude, Spaß, Lust und schiere Joie de vivre nicht viel übrig – und schon gar nicht für den Tanz. Eben darum misslingen ihr ihre sehr gelegentlichen Operettenunternehmungen so gründlich: Offenbachs „Pariser Leben“, zuletzt „Die Fledermaus“ – und jetzt also die zu einem Trauerklos mutierte „Verkaufte Braut“ von Smetana, ausgewiesen im Original als „Komicka zpevohra“, also als „Komisches Singspiel“ – von Smetana ursprünglich sogar als Operette geplant, jedenfalls „im leichteren Stil“. Das ist sie aber ganz und gar nicht für Andrea Breth, die renommierte Schauspielregisseurin, die die auf dem Besetzungszettel immerhin noch als „Komische Oper“ ausgewiesene „Prodana nevesta“ als schwarze Komödie irgendwo zwischen Tschechow, Horvath und Fellini angesiedelt hat.

Von Böhmen weit und breit keine Spur, sogar die ostentativ gestemmten Bierseidel sind leer. Die sehr präzis gezeichneten Charaktere alle wie mit einem Trauerrand versehen. Und um Gottes willen kein richtiger Tanz, weder Furiant noch Polka, dafür mit einem Verschiebebahnhof für Kirchturm und zwei armselige Hütten, einem einsam vor sich hin walzenden Philemon-und-Baucis-Paar aus dem Ausgedinge einer Modern-Dance-Exzentrikerin (Nina Makagonova, von Marco Goecke als Epileptikerin choreografiert, ähnlich der Schlange in Schlömers Stuttgarter „Orfeo“-Inszenierung), die Zirkusszene todtraurig in den blassen Farben von Balthus wie für Fellinis „La strada“ entworfen.

Im Programmheft wettert die Regisseurin vehement gegen das „was mir im Laufe meines Theaterlebens als ‚Verkaufte Braut‘ vor Augen gekommen war, und das mit schrecklichen Sachen behaftet, mit von Balustraden springenden Balletttänzern und merkwürdigen Formen von Nationalismus“. Arme Andrea Breth, die offenbar nie die „Verkaufte Braut“ eines Walter Felsenstein, Günther Rennert, Rudolf Noelte, Peter Konwitschny oder Thomas Langhoff gesehen hat! Die nämlich haben es fertiggebracht, die aus allen Nähten platzende schiere Lebenslust dieser Dörfler aus Böhmens sonnenüberstrahlter Hain und Flur auf der Bühne explodieren und ins Publikum überschwappen zu lassen – und dabei sehr wohl die Abgründe, persönlichen Verletzungen, sturen Borniertheiten und gesellschaftlichen Verkrustungen durch die blankgeputzte Fassade durchschimmern lassen.

Nie zuvor habe ich in meiner inzwischen über fünfzigjährigen Rezeptionserfahrung das Theater nach einer „Verkauften Braut“ so freudlos und bedripst verlassen wie an diesem Dienstag das Große Haus am Stuttgarter Eckensee!

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