Ernst Ludwig Kirchner und der Tanz

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Biberach, 01/08/2003

Auf dem Rückweg von Bregenz in Biberach Station gemacht, einem schmucken Städtchen, nicht weit von Ulm, und im dortigen lichten und einladenden Braith-Mali-Museum die noch bis zum 23. September dauernde Ausstellung „Ernst Ludwig Kirchner und der Tanz“ angesehen – und mit Nachdruck weiterempfohlen! Kirchner gehörte zu den Brücke-Malern – neben Heckel, Schmidt-Rottluff, Nolde und einigen anderen, die nach der Jahrhundertwende vom Rausch der emanzipierten Bewegung infiziert wurden. Es waren die Aufbruchsjahre des Ausdruckstanzes.

In Berlin, Hamburg, Dresden und später in Davos holte sich Kirchner (1880 bis 1938) die Tänzerinnen ins Atelier (die Tänzer interessierten ihn weniger), ging in ihre Studios, besuchte ihre Vorstellungen – auch in den Varietés und Cabarets und im Zirkus, beobachtete ihre Darbietungen und brachte sie dann zu Papier, schnitzte in Holz, malte auf der Leinwand, fantasierte später auch in eigenen Choreografien – besessen vom stürmischen Elan des sich immer rasanter beschleunigenden Tempos. Linien, die sich nicht genug tun konnten in immer extremeren Schwüngen und Kurvaturen.

Was ihn mindestens so faszinierte wie die Bewegung an sich, war die Erotik der Tänzerinnen. Und so dynamisierte er nicht nur die Linien, sondern auch die Profile der Kostüme und die Farben. Da konnten die Röcke der Tänzerinnen nicht hoch genug fliegen – wenn er sie ihnen denn überhaupt noch zugestand und sie nicht lieber gleich ganz auszog. Seine Zeichnungen knistern förmlich von Erotik. Mehrfach hat er Palucca und Wigman porträtiert.

Es ist die vibrierende Lebendigkeit, ihre lebenssprühende Vitalität, die sich auf den Betrachter überträgt, ihn, wenn schon nicht real, so doch virtuell zum Tanzen stimuliert. Man kennt aus der Literatur (und aus dem Ballett) die Wundergeiger, die die Leute zum Tanzen bringen. Bei Kirchner tun das die Zeichnungen. Ein Jahrhundert stürzt sich in den Tanz!

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