Klaus Sator: „Tanz und Homosexualität“

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Stuttgart, 26/11/2003

Was die Betroffenen schon immer wissen wollten – und der Autor rechnet sich zu ihnen –, können sie jetzt bei Klaus Sator ausgesprochen detailliert und mit Namen nicht gerade geizend nachlesen. Der, Jahrgang 1956 und promovierter Historiker und Archivar im Deutschen Tanzarchiv Köln, hat in „Invertito – Jahrbuch für die Geschichte der Homosexualitäten“ (5. Jahrgang 2003, zu beziehen durch die Redaktion Invertito, Vogelsanger Str. 61, 50823 Köln, www.invertito.de, 14 Euro) die bisher umfangsreichste Studie über „Tanz und Homosexualität – Sexuelle Identitäten hinter und auf der Bühne“vorgelegt – 37 Seiten lang, gründlich recherchiert, und geradezu überreich mit Fußnoten und Quellennachweisen versehen.

Sie befasst sich hauptsächlich – aber nicht ausschließlich – mit der deutschen Situation. Eine vergleichbare Bestandsaufnahme aus England, Frankreich den Vereinigten Staaten oder Russland ist mir nicht bekannt. Vieles, was man wusste oder ahnte, beziehungsweise hinter vorgehaltener Hand kolportierte – aber auch die in dieser Anzahl kaum vermutete Bisexualität überaus zahlreicher Tanzschaffenden – findet sich hier bestätigt. Und Sator scheut sich nicht, Namen zu nennen. Viele sind inzwischen verstorben, aber es sind noch genug am Leben, die über Sators Enthüllungen (ohne jede Sensationsabsicht) nicht gerade beglückt sein werden. Hoffentlich bleibt er von Verleumdungsprozessen verschont – aber generell hat sich das Klima ja in den letzten Dezennien gewandelt, kann heute relativ – relativ! – offen über Homosexualität diskutiert werden.

Eine wirklich exakte Definition, warum die männliche Homosexualität in Tänzerkreisen eine derart große Rolle spielt, kann auch er nicht geben – und noch weniger hat er über deren weibliche Variante und ihre Verbreitung mitzuteilen. Immerhin dürften auch viele, die sich auf diesem Gebiet gut informiert wähnen, überrascht sein, viele Schwule von Sator identifiziert zu sehen, deren Zugehörigkeit zur Spezies der Invertiten man nicht vermutet hätte. Von besonderem Interesse ist auch Sators offenbar erstmalige Darstellung ihrer „widersprüchlichen Lage im ‚Dritten Reich‘ sowie ihres Beitrags zur nationalsozialistischen Tanzkunst. Weiterhin gilt das Erkenntnisinteresse des Beitrags der Art und Weise, wie homo- und bisexuelle Tanzschaffende im Bühnentanz Heterosexualität in Frage gestellt und Homosexualität thematisiert haben. Was ich mir jetzt von Sator wünschte, wäre eine entsprechende Studie über die Homosexualität im Ballett vor Diaghilew. Denn da tappen wir derzeit noch völlig im Dunklen!

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