Lior Lev und sein „Mann tanzt“-Projekt

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Ludwigsburg, 15/11/2003

Für Robert Musil war er „Der Mann ohne Eigenschaften“ und auch Brecht behauptete noch 1926 lapidar „Mann ist Mann“ und meinte damit „Einer ist wie der andere“, also austauschbar – eben: „Mann bleibt Mann“. Doch inzwischen haben sich die Zeiten gewaltig geändert, nicht zuletzt durch die Emanzipation der Frauen. Die allerdings bleiben ausgesperrt aus der Produktion „Mann tanzt“, die Lior Lev, Extänzer des Stuttgarter Balletts, Stipendiat der Kunststiftung Baden-Württemberg und inzwischen freier Choreograf, mit vier Tänzerkollegen in der Reithalle der Ludwigsburger Karlskaserne präsentierte – in Kollaboration mit der Tanz- und Theaterwerkstatt e.V. Ludwigsburg.

Dem Publikum gefiel dabei vor allem, dass sich Mann – die hier versammelten Männer – selbst nicht unbedingt ernst nahm. Und so konnte denn während der achtzig pausenlosen Minuten viel gelacht werden, wie sich Lev und seine vier Spezies Eric Gauthier, Tejo Janssen, Chris Lechner und Thomas Mettler in ihrem jeweils sehr persönlichen und individuellen Männlichkeitsverständnis offenbarten. Es war also sozusagen ein Abend des tänzerischen Coming Out. Wobei von vornherein erklärt wurde, dass es sich um fünf heterosexuelle Männer handelte – nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit im Tänzermilieu. Tanzten da nun quasi fünf unsichtbare Frauen mit? Ganz und gar nicht! Denn die Fünf aus Tel Aviv/Stuttgart (Lev), Brighton/London (Lechner), Bern (Mettler), Montreal/Stuttgart (Gauthier) und Amsterdam/Güglingen (Janssen) waren so vollkommen mit sich selbst beschäftigt, dass jeder von ihnen noch ein Double benötigte, das im Hintergrund auf der Video-Projektionswand mittanzte, ein Alternativ-Ego also, das sich indessen, vom Video-Performer Reinhard Lorenz elektronisch dingfest gemacht, vom Live-Original kaum unterschied.

Und so zelebrierten die Fünf denn ihre diversen psychischen und physischen Befindlichkeiten, und die waren unterschiedlich genug, um uns erkennen zu lassen, dass es DEN globalen Mann nicht gibt – nicht mal als heterosexuellen Tänzer. Und so demonstrierten die sehr zeitgenössischen Fünf aus der Reiterkaserne ihre Nacktheit, ihre Eitelkeit, ihr Imponiergehabe, auch ihre Einsamkeit – vor allem aber ihre Kumpelhaftigkeit. Und hätten wohl noch achtzig Minuten sehr zum Vergnügen des Publikums so weitermachen können, denn viele heutige Männlichkeitssozialisationen blieben draußen vor: zum Beispiel ihre Tarzananimaliltät, ihr Bedürfnis, die Sau rauszulassen, ihr Jugendlichkeitskomplex, ihre Superstarambition, ihr Glotzenstumpfsinn – erstaunlicherweise auch ihre Animasehnsucht (ein ganz kleines Bisschen davon hätten sie ja auch als bekennende He-Men zugeben dürfen).

Vor allem aber demonstrierten sie, was sie für tolle Tänzer sind, denen Lev einzeln, als Paare und als Gruppe ihre Choreografien auf den Leib geschneidert hatte (mit fabelhaft nahtlosen Übergängen). Jedenfalls kam keine Minute Langeweile auf. So dass sich die Kunststiftungschefin jetzt überlegen sollte, ihre ja ebenfalls vorhandene Tanzstipendiatin mit einem entsprechenden „Frau tanzt“-Projekt zu beauftragen.

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