„In memoriam Dr. Kurt Petermann“

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Stuttgart, 14/02/2003

Eine eminent wichtige Publikation: das ist der Band „In memoriam Dr. Kurt Petermann“, herausgegeben von Ilsedore Reinsberg als Sonderausgabe aus dem Tanzarchiv Leipzig, erschienen im Verlag Vorwerk, Berlin 2002, 192 Seiten, ISBN 3-930916-46-0, € 19.00. Petermann, 1930-1984, promovierter Musikwissenschaftler, war Gründer des Deutschen Volkstanzarchivs beim Zentralhaus für Volkskunst der DDR in Leipzig, dann bis zu seinem frühen Tod Direktor des Tanzarchivs Leipzig als Teil der Akademie der Künste der DDR in Berlin. Internationale Reputation erwarb er sich als Herausgeber einer Tanzbibliografie und der „Documenta choreologica. Studienbibliothek zur Geschichte der Tanzkunst“.

Ein Workaholic, unermüdlicher Sammler, kein Parteimitglied, hat er unglaublich viel publiziert, unterrichtet, beraten, grundsätzliche Arbeitspapiere erstellt, Kontakte im In- und (auch westlichen) Ausland gepflegt, an einem leider nicht über seine Anfänge hinaus gelangten Tanzlexikon gearbeitet und beharrlich für die Etablierung der Tanzwissenschaft als akademische Disziplin gekämpft – ein Ziel, das zu erreichen ihn sein früher Tod gehindert hat. Er war ein Mann, der viele Freunde hatte, eigentlich ein bürgerlicher Wissenschaftler, der den Parteifunktionären immer suspekt war, der sich politisch so weit wie möglich bedeckt gehalten hat: nicht der Papst, auch nicht der Vordenker, eher der Querdenker des Tanzes in der DDR. Eine integre Persönlichkeit, der auch aus westlicher Sicht unbedingter Respekt gebührt.

Der Erinnerungsband ist wichtig, weil er weitergehende Einblicke in das System des Tanzes in der DDR ermöglicht als sie bisher bekannt geworden sind. Wie dieses System funktionierte, was es den involvierten Persönlichkeiten abverlangte, welche individuellen Freiräume es ihnen beließ. Am Anfang stehen ein paar westliche Memorabilia von Gunhild Oberzaucher-Schüller, George Dorris und Sibylle Dahms. Daran schließen sich die sehr informativen „Erinnerungen an Dr. Kurt Petermann“ von Monika Schneider an, langjährige Assistentin Petermanns und Geschäftsführerin des Tanzarchivs Leipzig. Dann kommt ein merkwürdiges, höchst amüsant zu lesendes fiktives, ausgesprochen geistreiches Interview von Ilsedore Reinsberg mit dem von den Toten wiederauferstandenen Petermann unter dem Titel „Endspiele“.

Den umfangsreichsten Teil des Bands bilden die von Anne Bergel klug und ständig hinterfragend geführten Interviews mit Pädagogen, Choreografen, Tänzern, Wissenschaftlern, Journalisten und anderen Persönlichkeiten, die Kontakt mit Petermann hatten. Die sind von unterschiedlicher Ergiebigkeit und unterschiedlichem Gewicht, aber ausnahmslos sehr informativ und stellenweise sogar brisant – gerade auch was die politischen Zwänge in der DDR betrifft. In dieser Beziehung ist der Band eine regelrechte Fundgrube – zum Beispiel über die dubiose Rolle, die Persönlichkeiten wie Eberhard Rebling, Jean Weidt, Aenne Goldschmidt, Werner Gommlich, Werner Hoerisch und Albert Burkat gespielt haben – natürlich auch Bernd Köllinger. Vermisst habe ich unter den Befragten Gisela Peters (als Witwe von Kurt Peters, der zweifellos zu den wichtigsten westlichen Kontaktpersönlichkeiten Petermanns gehörte), auch Martin Puttke und die Köhler-Richters in Leipzig, vor allem aber Tom Schilling. Für jeden künftigen Historiker der Geschichte des Tanzes in der DDR ist der Band jedenfalls eine unverzichtbare erste Quelle.

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