Nadja K.L. Kadel: Education- und Outreachprogramme in Ballettkompanien

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Stuttgart, 28/10/2003

Dies ist eine „Wissenschaftliche Arbeit für die Magisterprüfung im Fach Kulturwissenschaft“ – nicht gerade meine bevorzugte Art von Lektüre! Gleichwohl habe ich die 87 Seiten samt fünfzehnteiligem Anhang und die beigefügte Interactive Video CD des Richmond Ballet (was es heute so alles gibt!) mit wachsendem Interesse studiert und bin voller Bewunderung für die Gründlichkeit, mit der die junge Autorin aus Weinstadt bei Stuttgart ihre Recherchen für den im Untertitel annoncierten „deutsch-amerikanischen Vergleich von Programmen für Kinder und Jugendliche“ betrieben hat.

Leicht ist die Lektüre nicht gerade, und man muss schon bereit sein, ständig zwischen amerikanischen und deutschen Zitaten hin und her zu springen. Auch muss ich gestehen, bisher dem Begriff „Outreach“ noch nicht begegnet zu sein. Kadel erklärt: „Education- und Outreachprogramme sind Programme, bei denen Kinder und Jugendliche verschiedenster Altersstufen, Bildungsgrade und sozialen Umfelds an der Schule und in der Gemeinde (Outreach) und in der Kulturorganisation (Education) mit professionellen Künstlern zusammentreffen und zusammenarbeiten. Voraussetzung für eine erfolgreiche Durchführung ist die Zusammenarbeit zwischen den Künstlern aus dem Ballettbereich und Lehrern der Schule.“ Und weiter: „Education bezieht sich vornehmlich auf Programme innerhalb der professionellen Kompanien, an denen Kinder und Jugendliche in der Institution teilnehmen. Educationprogramme amerikanischer Kompanien beinhalten beispielsweise spezielle Aufführungen für Kinder, Vorbereitungsworkshops zu Aufführungen, geführte Touren hinter die Kulissen, ansprechende Angebote für Lehrer, die Vergabe von speziellen Lernmaterialien, den ‚study guides‘. Outreach bezieht sich auf Kooperation von Ballettpädagogen mit Schulen und Gemeinden. Zu amerikanischen Outreachangeboten zählen Besuche von Ballettkompanien an Schulen, Präsentationen zum Thema Ballett während des Unterrichts oder Angebote für Bewegungs- und Tanzunterricht an Schulen.“

Und da kann man nur staunen, wie zielstrebig und umfangreich auf diesem Gebiet in Amerika gearbeitet wird und wird sich bewusst, wie sehr diese Arbeit am Publikum für morgen bei uns vernachlässigt wird. Nicht, dass es nicht auch bei uns immer wieder diverse derartige Ansätze gegeben hat (gerade auch in der DDR) – aber sie sind eben kaum über Ansätze hinausgelangt. Am ehesten noch in Nordrhein-Westfalen und da besonders in Essen – auch darüber informiert Kadel detailliert. Am besten kommt bei ihr das Ballett Schindowski in Gelsenkirchen weg – „Standort der einzigen deutschen Ballettkompanie, die Education und Outreach in einer dem ‚Make a ballet‘-Programm des American Ballet Theater oder dem ‚Minds in Motion‘-Programm des Richmond Ballets vergleichbaren Weise anbietet.“ Wie Ruben Reis, Schindowskis Assistent erläuterte: Durch diese intensive Arbeit „wird großes Interesse geweckt, alle Schüler, die mitgewirkt haben, kommen unter Garantie ein zweites Mal ins Theater. Außerdem lernen die Schüler sehr viel von den Tänzern, sie sind von deren Disziplin und Multikulturalität fasziniert.“

Die Beispiele und Vorschläge für diese Arbeit, die Kadel in ganz erstaunlicher Fülle unterbreitet, sind wahrlich verblüffend, so dass man sie als Pflichtlektüre allen unseren Ballett- und Tanztheaterchefs zugänglich gemacht wünscht. Nicht zuletzt tut sich hier ein aufregendes (und äußerst dankbares) neues Betätigungsfeld für Tänzer nach Beendigung ihrer Karriere auf. Die Arbeit ist im Magister-Aufbaustudiengang „Kulturmanagement“ an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg vorgelegt worden.

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