Natalia Dudinskaja: Tod einer Jahrhundert-Ballerina

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Stuttgart, 31/01/2003

Sie war eine klassische Ballerina par excellence und auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, die immerhin von 1931 bis 1962 währte, die First Lady des Kirow-Balletts: Natalia Michailowna Dudinskaja, die am 29. Januar in St. Petersburg gestorben ist. In Charkow 1912 geboren, wurde sie die Musterschülerin Agrippina Wagnanowas und nach deren Tod sozusagen deren künstlerische Treuhänderin. Sie unterrichtete an der Choreografischen Schule in Leningrad und leitete noch bis in ihr hohes Alter Perfektions- und Meisterklassen beim inzwischen wieder als Mariinski Ballett fungierenden St. Petersburger Staatsopernballett und war, meist zusammen mit ihrem Gatten Konstantin Sergejew, eine gefragte Gastpädagogin in der ganzen Welt.

Eine hoch elegante Erscheinung, trat sie während der Sowjetära im Ausland mit ausgeprägtem Selbstbewusstsein als offizielle Kulturbotschafterin ihres Staates auf – darin ihrer grossen Rivalin Galina Ulanowa gleich. Sie war eine perfekte Technikerin, der scheinbar mühelos auch die schwierigsten Kombinationen gelangen, die sie sich hart erarbeitet hatte. Eine ausgesprochene Presto-Tänzerin, schien sie gleichsam auf der Luft zu tanzen, als ob sie anstelle der Lungen einen Ballon in ihrem Körper besäße – mit einem kraftvollen, fast schon männlichen Sprung, der ihr indessen nichts von ihrer graziös-koketten Femininität nahm.

Sie kompensierte durch ihre atemberaubende Technik ihre darstellerisch-expressiven Defizite und hatte ihre größten Rollen als Kitri, Nikija, Odile und Raymonda sowie in den Balletten von Wachtang Tschabukiani, der einen enormen Einfluss auf sie hatte, und später dann in den Balletten von Sergejew. Nachdem Galina Ulanowa von Leningrad nach Moskau zwangsumgesiedelt worden war, war sie die unangefochtene Herrscherin über das Kirow-Ballett, mit einem Alleinvertretungsanspruch als Giselle, als die sie keine andere Ballerina der Kompanie – und vor allem keine jüngere – neben sich tolerierte. Igor Stupnikow rühmt sie als wahre Erbin der Waganowa-Tradition, deren lebenslanges Verantwortungsgefühl ihrer Kunst gegenüber niemand in Abrede stellen kann.

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