Par l´ordre de Moufti oder der Fall des Jochen Schmidt

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Stuttgart, 03/07/2003

Inzwischen haben wir uns ja an die täglichen Insolvenzen auch renommiertester Firmen gewöhnt, an freundliche und feindliche Übernahmen, um das Verschwinden des einen oder anderen Namen eines profilierten Journalisten. Gleichwohl haben wir die beunruhigenden Zeichen auf unserem eigensten Gebiet, nämlich der Presseberichterstattung über den Tanz, kaum wahrgenommen – oder haben wir sie einfach verdrängt, nicht wahrhaben wollen? Denn gehört haben wir natürlich immer wieder, dass es da oder dort bröckelt, dass mit Verweisen auf das allgemeine Sparsamkeitsgebot der Raum immer mehr beschnitten, die Reisemöglichkeiten für Kritiker eingeschränkt wurden, dass verdiente Kollegen schnöde abserviert wurden – kurzum, dass die Möglichkeiten für eine seriöse Berichterstattung immer weiter reduziert wurden.

Dass davon auch große Zeitungen betroffen waren, die sich engagiert für den Tanz eingesetzt hatten, gleich ob es sich nun ums Ballett oder Tanztheater handelte. Als einer der betroffenen Journalisten bilde ich mir allen Ernstes ein, dass unsere Zunft der Tanzjournalisten wesentlich zum Boom des Tanzes in der Bundesrepublik in den letzten Jahrzehnten beigetragen hat – mit viel Idealismus und auch privaten Investitionen, denn nur ganz wenigen gelang es, einen festen Posten als Tanzredakteur zu ergattern.

Beunruhigt hatte mich aber durchaus, zu sehen, wie ein Mann vom Format Helmut Scheiers so peu à peu aus seiner Kölner Zeitung herausgedrängt wurde oder Roland Langer aus seinem Frankfurter Blatt. Dass sich sodann sogar die Süddeutsche Zeitung, die sich eine ausgesprochene Spezialistin als Redakteurin (nicht nur für den Tanz) leistet, auf die regelmäßige Mitarbeit einer Katja Schneider verzichtete und sie in die Nische des lokalen Feuilletons verbannte. Und nichts Anderes tat die Neue Zürcher Zeitung, als sie den längeren London-Aufenthalt von Lilo Weber benutzte, sich ihrer als Redakteurin zu entledigen, um sie als freie Mitarbeiterin allenfalls noch bei Off-Events zu beschäftigen. Den härtesten Einschnitt leistete sich freilich schon vor Jahren die Londoner Times, die ihrem Chef-Ballettkritiker John Percival – einem der international angesehensten Tanzjournalisten überhaupt – eines Tages den Stuhl vor die Tür setzte, um die Ballettberichterstattung einer relativ unerfahrenen jungen Dame anzuvertrauen.

Jetzt allerdings hat sich ein Fall ereignet, der alle Alarmglocken schrillen lässt. Frank Schirrmacher, allmächtiger Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, hat seine Redakteure angewiesen, keine Aufträge mehr an Jochen Schmidt zu erteilen und ihn in Zukunft nicht mehr zu drucken. Mit dem Hinweis, dass wir eben in schlechten Zeiten lebten, in denen man sich auch von Liebgewordenem trennen müsse. Wie denn das, fragt man sich wie betäubt? Die FAZ, die Zeitung hinter der ein kluger Kopf steckt, und die von vielen (nicht von allen, ich weiß) trotz gewisser Einschränkungen, noch immer für das beste Feuilleton aller deutschen Zeitungen gehalten wird, trennt sich auf so erbärmliche Weise von einem ihrer besten Journalisten, dem – und ihm allein – die FAZ ihr hohes Ansehen in der internationalen Ballettwelt verdankt? So schlicht und einfach par l‘ordre de Moufti? Und das nach fast vier Jahrzehnten einer bestens funktionierenden Zusammenarbeit! Was ist denn das für ein Arbeitgeber – hat der denn gar kein Gefühl der seinem Arbeitnehmer gegenüber geschuldeten Loyalität, auch wenn es sich bloß um einen freien Journalisten mit Monatsfixum handelt?

Nachfragend hört man von erbitterten Grabengefechten unter den Redakteuren der nach außen sich so ungemein seriös gebenden FAZ – gerade auch in der Feuilletonredaktion –, die ums nackte Überleben kämpfen. Dass aber ein Mann wie Jochen Schmidt, respektiert in der ganzen Welt, über seine journalistischen Verdienste hinaus auch als Buchautor einer ganzen Phalanx von Standardwerken über große Persönlichkeiten der zeitgenössischen Tanzszene, eine so schmähliche Erfahrung machen muss, lässt für die weitere Entwicklung der Tanzberichterstattung in unserem Lande allerdings das Schlimmste befürchten!

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