Was tut sich (nicht) in Hamburg?

oe
Stuttgart, 15/12/2003

Vom 28. bis zum 30. November fanden in Baden-Baden drei Voraufführungen von John Neumeiers „Tod in Venedig“ statt, über die die meisten großen deutschen Zeitungen berichtet haben. Sehr zum Leidwesen Neumeiers, der verschiedentlich darauf hingewiesen hat, dass er sich bis zur Uraufführung am 7. Dezember in Hamburg vorbehalte, noch Änderungen vorzunehmen. Die „Süddeutsche Zeitung“, die nicht über Baden-Baden berichtet hatte, holte die Kritik denn auch gleich nach der Hamburger Premiere nach. Was aber ist los mit der „Frankfurter Allgemeinen“, die bis heute, acht Tage nach Hamburg, nicht über das Ereignis – immerhin eins der Top-Events der deutschen Ballettsaison – berichtet hat? Wäre das denkbar bei der Hamburger Premiere einer Operninszenierung von Peter Konwitschny?

Nun glaube ich nicht, dass die FAZ keine Kritikerin oder wen auch immer, in die Uraufführung geschickt hat. Und ich glaube auch nicht, dass die Kritikerin oder der Kritiker ihren/seinen Bericht aus lauter Faulheit so lange hinausgezögert hat. Am Platzmangel kann es nicht gelegen haben. Immerhin hat die FAZ in dieser Woche große Berichte ihrer offenbar als Jochen-Schmidt-Nachfolgerin aufgebauten Tanzkorrespondentin aus Cannes, Paris und London veröffentlicht. Ist Hamburg mit der Uraufführung eines abendfüllenden Balletts von John Neumeier inzwischen so unwichtig für die Redakteure der FAZ geworden, dass sie es sich leisten zu können glauben, ihre Leser derart lange hinhalten zu können – ja vielleicht sogar überhaupt nicht darüber zu informieren?

Es stimmt mich ausgesprochen traurig, zu verfolgen, wie gering der Stellenwert inzwischen ist, den die deutschen Feuilletonredakteure dem Ballett und dem Tanz heutzutage in ihren Spalten zubilligen. Und wie gering sie offenbar auch das Interesse des Publikums einschätzen – nicht zu reden von der zunehmenden internationalen Anerkennung, die das deutsche Ballett und das deutsche Tanztheater heute in aller Welt genießen (siehe den enormen Erfolg des Hamburger Balletts in St. Petersburg – siehe die Begeisterung für Sasha Waltz jüngst in Bordeaux). Und ich frage mich, wie ein Mann wie John Neumeier auf ein derartiges Desinteresse meinungsbildender Journalisten an seiner Arbeit reagiert. Ich vermute, mit einem resignierenden Schulterzucken. Ob ihm die jüngste Auszeichnung seiner Aufnahme in die französische Ehrenlegion ein Trost ist? Warum aber lassen sich die tanzinteressierten und -engagierten Zuschauer und Zeitungsabonnenten eine derartige Vernachlässigung gefallen, warum protestieren sie nicht dagegen? Ist es wirklich unmöglich, sich in einer Lobby zur Durchsetzung ihrer Interessen zusammenzuschließen?

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