In eigener Sache

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Stuttgart, 27/09/2004

Das heutige koeglerjournal müsste eigentlich mit einem Trauerrand erscheinen, denn ich habe eine Nachricht zu übermitteln, die mich sehr traurig stimmt. Nach über vierzig, bald fünfzig Jahren sehe ich mich veranlasst, meine Zusammenarbeit mit der „Stuttgarter Zeitung“ zu beenden. Es waren vier Dezennien einer überaus glücklichen, ausgesprochen kreativen Partnerschaft, von der ich meine, dass alle davon profitiert haben – ich selbst, die Zeitung, die Leser und, wie ich mir einbilde, der Tanz ganz allgemein und das Stuttgarter Ballett im Besonderen. Es waren vier Jahrzehnte einer nicht nur kollegialen, sondern geradezu freundschaftlichen Zusammenarbeit mit den diversen Chefredakteuren, den Feuilletonchefs und den Kollegen in der Redaktion – davon immerhin fünfzehn Jahre als Musikchef der StZ.

Das hat sich seit ein paar Jahren grundlegend geändert, seit der Berufung des gegenwärtigen Chefredakteurs, eines neuen Kulturchefs und eines neuen Musikredakteurs, der auch für den Tanz zuständig ist. Nun bin ich nicht so blind, zu verkennen, dass sich in den letzten Jahren die deutsche Presselandschaft einschneidend verändert hat, dass der dem Feuilleton zugestandene Raum merklich reduziert worden ist, und dass eine neue und jüngere Generation andere Prioritäten setzt. Kein Verständnis habe ich allerdings, wenn die Verhältnismäßigkeit der Berichterstattung über die einzelnen Interessengebiete derart zu Ungunsten des Tanzes verändert wird wie das in der StZ geschehen ist.

Das erste Opfer dieses Schrumpfungsprozesses bei der StZ war der von mir hoch geschätzte Kollege Bernd Krause, dem eines Tages der Kragen platzte und der daraufhin die Mitarbeit aufkündigte – ein Verlust, den die Stuttgarter Ballettszene bis heute nicht verkraftet hat. Inzwischen hat man auch mir den Raum für die Tanzberichterstattung derart beschnitten, dass mein letzter Beitrag Mitte Mai erschienen ist (zwei oder drei Terminangebote habe ich aus wohl überlegten Gründen abgelehnt).

Um nur ein paar der Tanz-Termine zu nennen, auf die die StZ glaubte, verzichten zu können: Praktisch sämtliche Premieren in Nürnberg, Ulm, Heidelberg oder Freiburg, in Mainz, Straßburg, Basel und Zürich sowie die jüngsten Premieren von Sasha Waltz in Berlin. Das Hamburger Gastspiel in St. Petersburg. Die erste umfassende Tanzausstellung in der Berliner Akademie der Künste. Die Laudatio von Klaus Zehelein bei der Verleihung des Deutschen Tanzpreises an William Forsythe in Essen. Das deutsche Debüt von Alina Cojocaru und Johan Kobborg bei einer Gala im Stuttgarter Theaterhaus. Das movimentos-Tanzfestival und die Stiftung eines hoch dotierten neuen Tanzpreises in Wolfsburg. Das Debüt Akram Khans bei den Ludwigsburger Festspielen und andere Tanz-Gastspiele dort. Das Gastspiel des holländischen Nationalballetts mit einem kompletten Van-Manen-Programm in Heilbronn. Die erste professionelle Produktion von Kurt Weills Ballett „Zaubernacht“ durch die abcdancecompany bei den Bregenzer Festspielen. Selbst der sechzigste Geburtstag von Birgit Keil war der StZ nicht länger eine Gratulation wert.

Längst ist die StZ, jahrelang eine der führenden Zeitungen Deutschlands, was die internationale Tanzberichterstattung angeht, zu einem Lokalblatt abgesunken – um Längen überholt von den konkurrierenden „Stuttgarter Nachrichten“. Aus Desinteresse, Ignoranz oder Inkompetenz? Auf jeden Fall bin ich nicht länger daran interessiert, mit meinen Namen für eine Zeitung einzustehen, die derart ihr Informationsangebot vernachlässigt – an einem Ort, der nach wie vor zu den ballettengagiertesten Städten Deutschlands, wenn nicht der Welt zählt. Und mit der ich mich vierzig Jahre lang hundertfünfzigprozentig identifiziert habe.

Und das stimmt mich unendlich traurig. So dass ich glaube, nachfühlen zu können, wie Jan Ullrich zu Mute gewesen sein muss, als er nach seiner Goldmedaille bei den Olympischen Spielen von Sydney auf Rang neunzehn in Athen zurückgefallen ist. Allerdings kann ich mir keine Konditionsschwäche vorwerfen, sondern schuld daran ist wohl eher die Materialmüdigkeit des Mediums. Im Gegenteil werde ich laufend vom Publikum in den Vorstellungen angesprochen, warum ich denn in der StZ so selten zum Zuge komme, während ich doch im Internet ständig über die aktuellen Ereignisse berichte.

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