Frieder Reininghaus und Katja Schneider: „Experimentelles Musik- und Tanztheater“

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Stuttgart, 13/10/2004

Wahrlich ein Monumentalprodukt, das alle Aussichten hat zum Standardwerk seines Titels zu werden, hat der Laaber-Verlag als siebenten Band der Reihe „Handbuch der Musik im 20. Jahrhundert“ vorgelegt: „Experimentelles Musik- und Tanztheater“, herausgegeben von Frieder Reininghaus und Katja Schneider (391 Seiten, 80 Abbildungen. ISBN 3-89007-427-8, 98,- Euro). Daran beteiligt sind neben Reininghaus und Schneider nicht weniger als 45 Autoren – darunter außer ein paar Österreichern und einem Schweizer kaum Ausländer, sämtlich Spezialisten auf ihrem Gebiet.

Die Fülle der Informationen ist überwältigend – umso erstaunlicher die übersichtliche Gliederung. Ein paar Stichproben über einzelne Personen, Titel, Tendenzen, Konzepte und Utopien – hier allein auf den Tanz bezogen. Nach der von Katja Schneider besorgten knappen Einleitung folgen Beiträge über Isadora Duncan (Schneider), Loïe Fuller (Brygida Ochaim), Rudolf von Laban (Evelyn Dörr) und Mary Wigman (Hedwig Müller). Unmöglich, hier alle einzeln zu nennen – nur um die enorme Weite der Themenstellungen anzudeuten: Valeska Gert (Susanne Foellmer), Oskar Schlemmer und „Das Triadische Ballett“ (Dirk Scheper), Kurt Jooss (Patricia Stöckemann), Ballets Russes und Ballets Suédois (Klaus Kieser), Meyerhold und das ‚plastische Bewegen‘ in der Sowjetunion (Gunhild Oberzaucher-Schüller), Martha Graham (Schneider), Doris Humphrey (Sabine Huschka), Tatjana Gsovsky (Oberzaucher-Schüller), Merce Cunningham (Huschka), Yvonne Rainer und das Judson Dance Theater (Huschka), Steve Paxton (Gabriele Wittmann), Gerhard Bohner, Susanne Linke und Reinhild Hoffmann (Stöckemann), Pina Bausch (Schneider), William Forsythe (Huschka), VA Wölfl (Gerald Siegmund), Saburo Teshigawara (Eva-Elisabeth Fischer), Anna Teresa de Keersmaeker (Irmela Kästner), Johann Kresnik (Anja von Witzler), Jan Fabre (Arnd Wesemann), Karol Armitage, Michael Clark und Lloyd Newson (Janine Schulze), Jérôme Bel und Xavier Le Roy (Helmut Ploebst), Raimund Hoghe und Wanda Golonka (Schneider), Tanzvideo und Videotanz (Claudia Rosiny) und schließlich, mit Fragezeichen versehen, „Das Verschwinden des Tanzes aus der Choreografie?“ (Schneider).

Man mag bei manchem der Beiträge eine gewisse Disproportion beklagen (zum Beispiel hätte ich mir eine detailliertere Analyse des Balletts während der aufregenden Phase des sowjetischen Theater-Oktobers gewünscht – und auch Butoh scheint mir etwas zu kurz zu kommen) – doch bei der Vielzahl der Autoren waren wohl persönlich differierende Perspektiven nicht zu vermeiden. Dass allerdings Joachim Schlömer nicht vertreten ist, kann ich mir nur als Flüchtigkeitsmanko erklären. Das ist jedenfalls ein gewaltiges Pensum – und leicht zu konsumieren sind die Texte nicht. Aber sie bieten insgesamt einen imponierenden weltweiten Überblick über die experimentelle Szene der letzten hundert Jahre, bezeugen deren enorme Vitalität und eröffnen vielfach überraschende Perspektiven über die parallelen Vorgänge auf dem Musik- und dem Tanztheater.

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