Reise in die Vergangenheit

Das 1. Rothenfelser Tanzsymposium als erstaunlich kompakte Tagung für Tänzer, Amateure und Wissenschaftler zum Thema „Morgenröte des Barock“ - Tanz im 17. Jahrhundert

Rothenfels am Main, 07/08/2004

Die Burg Rothenfels am Main gilt unter den Liebhabern Historischer Tänze als Geheimtipp. Wie ein wohlbehütetes Relikt aus früheren Zeit thront die ehemalige Staufer-Festung mit ihrem gewaltigen Bergfried über Bayerns kleinster Stadt und wer einmal das Tor zur Innenburg durchschritten hat, wird unwillkürlich in den Sog dieser in sich ruhenden Anlage gezogen: Es ist ein Ort der Konzentration. Hier finden immer wieder Tanzworkshops statt, die - eingebunden in den festen Tagesablauf des Bildungs- und Tagungshauses, fernab von Verkehr, TV oder Internet - ein zunehmend seltenes Gefühl von Gemeinschaft und Kommunikation entstehen lassen. Viele kommen regelmäßig, um Wissen aufzufrischen oder neue Tänze aus dem 16., 17. oder 18. Jahrhundert zu erlernen.

Der Internist Markus Lehner ist einer von ihnen. Ihm ist ein Großteil an der Organisation des 1. Rothenfelser Tanzsymposiums vom 9. bis 13. Juni zu verdanken. In Zusammenarbeit mit seinem Freiburger Kollegen in Sachen „Historischer Tanz“, dem Verleger Uwe Schlottermüller (Hrsg. des Tagungsbandes; Info: fagisis@aol.com), wurde ein dichtes Programmgeflecht erarbeitet, das erstmalig auf die Kombination von themenbezogenen, theoretischen Vorträgen mit praktischen Workshops zu den verschiedenen Stilen der Zeit Wert legte. Ein gewagtes Unterfangen, doch das Konzept ging zur großen Begeisterung aller ca. 120 Teilnehmer mehr als nur auf: In beiden Bereichen kamen vorwiegend Spezialisten zum Einsatz und niemand konnte voraussehen, wie fruchtbar die Konfrontation der oft gut informierten Laien mit den Profitänzern und Wissenschaftlern für den Verlauf der Tanzkonferenz sein würde.

Eine klare Einteilung in Blöcke bestimmte den Rhythmus, wobei die Vormittage reserviert waren für die Beiträge der Referenten zu Themen der höfischen Repräsentation und Festkultur (Dr. Magdalena Gärtner), der Zivilisierung der Sitten durch die franz. „belle danse“ (Dr. Marie-Thérèse Mourey), den Hofballetten unter Königin Christina von Schweden (Peter Bohlin), dem Traktat des Braunschweiger Tanzmeisters Hugo Bonnefonds (Giles Wesley Bennett), den Grazer Tanzmeistern (Gudrun Rottensteiner), Historischem Tanz in Ungarn (Éva Faragó), dem Vergleich deutscher und franz. Tanzquellen (Dr. Stephanie Schroedter), dem „Lovelace“-Manuskript engl. Country-Dances (Prof. Carol Marsh), anstößigen Tänzen im 17. Jhd. (Prof. Dr. Rainer Gstrein), der Sarabande (Hannelore Unfried), der Courante (Jadwiga Nowaczek) und den „Barock-Castagnetten“ (Evelyn J. L. Puefken).

Auf die eher intellektuelle, manchmal sehr geschichtsfundierte oder bisweilen auch amüsante Auseinandersetzung mit dem sogenannten „Barocktanz“ folgte am Nachmittag mit je zwei Kursen und einem Tanzabend der mehr die Kondition und Fußgelenke fordernde Teil. Doch Achtung: Auch die so vergnüglichen Country-Dances eines Thomas Bray (Philippe Callens) können ein müdes Gehirn anstrengen. Wer schlecht memoriert oder sich die figurenmalenden Raumwege (z.B. in The Lovers Luck) nicht merken kann, kommt schnell ins Schwitzen. Überraschend virtuos fielen die von Barbara Sparti ausgewählten Passagen aus dem soeben in einer Faksimile-Ausgabe erschienenen Manuskript des Mastro Santucci aus (Santucci, Ercole, Mastro da Ballo. Olms, Hildesheim 2004. Vorwort: Barbara Sparti). Die bisher so gut wie unbekannte Handschrift ist ganz offensichtlich ein wichtiges Bindeglied zwischen den beiden Tanzmeistern Cesare Negri (Tanzabend mit Veronique Daniels) und Fabricio Caroso. Einen Einblick in die stilistischen Unterschiede und technischen Nuancen der uns heute in Niederschriften verschiedener Tanzmeister überlieferten Balletti des Cinquecento gab Markus Lehner und brachte somit auch die Vorgeschichte des von Ken Pierce so meisterlich beherrschten Barocktanzes (Favier Notation in Theorie und Praxis) zur Sprache. Ein festlicher Ball in historischen Kostümen - als unterhaltsamer, „zeitver-rückter“ Höhepunkt der Tagung angelegt - bot noch einmal Gelegenheit zu Gespräch und Tanz.

Bedeutung und Tragweite des gelungenen Nebeneinanders von live gespielter Musik, Tanz und Theorie hob die italienische Tanzhistorikerin Barbara Sparti im Schlussgespräch nochmals hervor, indem sie u. a. die szenische Präsentation des ehem. Berliner Tänzers Klaus Abromeit „Aber Johann Georg hat gesagt… Eine kommentierte Tanzstunde nach Johann Georg Pasch“ als wegweisend für die Tanzwissenschaft bezeichnete. Dies galt freilich auch für den 30-minütigen Auftritt der beiden Tänzer Nicolle Klinkeberg und Wijnand Karel aus Utrecht. Unter dem Titel „Östlich der Sonne, westlich des Mondes“ erzählten sie mit den Mitteln des höfischen Tanzes um 1600 sowie Volkstänzen aus Italien und Mazedonien den fiktiven Tagesablauf eines Paares von früher. Sie berührten das Fachpublikum durch ihre Anmut, Präzision, Dynamik und stringente Dramaturgie.

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern