Wie ein schlechtes Beispiel Schule macht

Ein Nachwort zur Strawinsky-Ballettpremiere

oe
Stuttgart, 06/12/2004

Deutschlands prominentester Ballettfotograf, Gert Weigelt aus Köln, war nach langen Jahren der Stuttgart-Abstinenz wieder einmal in der Stadt, und wer ihn am Freitag bei der Premiere den Tänzern auf der Bühne applaudieren sah, musste den Eindruck gewinnen, dass ihm der Abend ausnehmend gut gefallen hat. Allein, er ist dann doch wieder ziemlich bedripst an den Rhein zurückgekehrt – sichtlich frustriert darüber, dass er kein einziges Foto geschossen hatte. Das lag nicht an ihm. Sondern an dem strikten Reglement, jedes zur Veröffentlichung bestimmte Foto zuvor der hiesigen Ballettdirektion zur Begutachtung vorzulegen. Das zu tun aber weigert er sich beharrlich, eingedenk seines internationalen Rufes und da jedermann, der je ein Foto von ihm zu Gesicht bekommen hat, um seinen ungewöhnlich hohen Qualitätsanspruch weiß. Er selbst spricht von einer nicht hinzunehmenden Zensurmaßnahme, gegen die er sich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln wehrt.

Das war nicht immer so. Sondern ist gewissermaßen die Folge eines Kollateralschadens im Zuge jenes amerikanischen Ballett-Imperialismus, der jeglichen Export einer Balanchine-Choreografie mit der Zwangsmaßnahme eines Copyright-Vermerks belegt, demzufolge „Die Aufführung von einem Balanchine © Ballett wird mit freundlicher Genehmigung des George Balanchine © Trust präsentiert und wurde gemäß dem Balanchine Style © und der Balanchine Technique © produziert, wobei der Standard vom Trust festgelegt und vermittelt wurde“. Dazu gehört dann auch das Einholen eines OK vor jeder Publikation eines Balanchine © Fotos. Interessant ist, dass offenbar sogar die deutschen Schreibweisen von Style und Technique festgelegt sind – und interessant ist auch, dass Jerome Robbins‘ „The Cage“ (ebenfalls wie die Balanchine-Ballette aus dem Repertoire des New York City Ballet) auf diesen Copyright-Vermerk verzichtet.

Sind wir inzwischen derart amerikanisiert, dass wir jedem jenseits des Atlantik ausgeheckten Spleen blindlings zu folgen haben? Dass wir nicht mehr auf unsere eigenen Qualitätsmaßstäbe vertrauen? Muss Reid Anderson das Balanchine-Gebot unbedingt auch für die Eigenproduktionen des Stuttgarter Balletts übernehmen? Aber vielleicht ist die Frage ja gar nicht so unberechtigt, wenn wir uns an jene Stuttgarter Ballett-Fotobuch-Veröffentlichung vor ein paar Jahren erinnern, in dem die Tänzer mit Vorliebe in Müll-Container gesteckt wurden (was, allerdings, die volle Zustimmung unserer hochlöblichen Direktion gefunden zu haben scheint)! Doch im Ernst: wo kommen wir hin, wenn in Zukunft jede Veröffentlichung, ob nun als Bild oder Text, über ein künstlerisches Ereignis vorher von dem Veranstalter abgesegnet werden muss? Dann sollten wir ganz schnell reagieren und den Bundeskanzler beauftragen, bei seiner gegenwärtigen China-Reise gleich ein Abkommen abzuschließen für den Import der dort ja reichlich vorhandenen Zensoren – und vielleicht könnten dazu ja auch ein paar noch übriggebliebene Pensionäre des ehemaligen DDR-Ministeriums für Staatssicherheit reaktiviert werden!

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