Zweimal Oper - einmal mit choreografischem Upgrading und einmal mit pantomimischem Downgrading

Offenbachs „Les contes d´Hoffmann“ und Berlioz' „Benvenuto Cellini“

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Düsseldorf und Gelsenkirchen, 29/10/2004

Statt Béjarts teutonischem Mythen-Soap in Berlin ein französisches Opern-Wochenende im Rheinischen. In Düsseldorfs Deutscher Oper am Rhein nach Neumeiers „Sylvia“ (ganz vergessen zu erwähnen, dass Düsseldorf ja schon vor einem Vierteljahrhundert Seregis operettenhaft fesche Version im Repertoire hatte) eine grandiose Produktion von Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ – musikalisch (dirigiert von Baldo Podic), gesanglich (vier Superfrauen), inszeniert von Christoph Loy (Regisseur des Jahres in der Bilanz der „Opernwelt“ für 2004) und ausgestattet von Herbert Murauer – sicher die rundum stimmigste und beglückendste der ungefähr drei Dutzend Inszenierungen, die ich in den letzten fünfzig Jahren gesehen habe – von Felsenstein im Nachkriegs-Berlin über Chereau in Paris, Schlesinger in London, Ponnelle in Salzburg, Savary auf dem See in Bregenz bis zu Schlömer in Stuttgart.

Ein hinreißender Vier-Stunden-Vier-Sterne-Theaterabend! Auf dem Besetzungszettel an letzter Stelle: choreografische Mitarbeit Wolfgang Enck. Ich werde mich hüten, von einer choreografischen Inszenierung zu reden (die hatten wir zuletzt von Béjart noch in Brüssel). Doch sind es gerade die choreografischen Aperçus, die der Aufführung ihre Glanzlichter verleihen – sozusagen die Accacciaturen und Kadenzen der Inszenierung. Da ist gleich am Anfang die „Ballade von Klein-Zack“, von Sergej Khomov nicht nur brillant gesungen, sondern so akrobatisch-artistisch ausagiert, dass ich ihn ohne weiteres mit dem Zwerg in Fortners Ballett „Die weiße Rose“ besetzen würde. Dabei sieht er auch noch verdammt gut aus und gibt sich beeindruckt auch in den Folgeakten mit seiner ungewöhnlichen körperlichen Ausdruckskraft, der das Tanzen nicht lassen kann. Ich habe Rudolf Schock, Nicolai Gedda, Placido Domingo und Neil Shicoff (und wer weiß wen sonst noch in der dieser Rolle erlebt – sie waren anders, aber keiner war besser als dieser Tenor aus der Ukraine.

Seine Olympia walzt er quasi zu Tode (Elena Brilova, die ihre atemberaubend variierten Koloraturen in Spitzenschuhen und tatsächlich auf der Spitze stehend absolviert) – und mit seiner Muse, quasi seiner einzig Geliebten (die geradezu kontorsionistisch agierende Annette Seiltgen) führt er regelrechte Pas de deux auf. Dass Oper so schön, so geistvoll, so animierend, so das Herz und die Sinne beflügelnd sein kann: Ach hätten wir an unserem Stuttgarter „Opernhaus des Jahres“ doch auch einmal eine so überwältigende Aufführung, in die man am liebsten gleich noch einmal ginge!

Und dann am Folgeabend in Gelsenkirchen am Musiktheater im Revier Hector Berlioz‘ höchst selten anzutreffender „Benvenuto Cellini“ – hier in der ursprünglich von Berlioz intendierten Originalform als Opéra comique – also mit gesprochenen Dialogen (was der Dramaturgie des aus allen Nähten platzenden Werkes unbedingt zugutekommt). In einer rechtschaffen-soliden Produktion, die einmal mehr für Berlioz‘ jugendlichen Geniestreich einnimmt – kompetent musiziert und gesungen (besonders vom vielbeschäftigten Chor) und inszeniert (Andreas Baesler) – na ja, treudeutsch und so bieder als handelte sich‘s um die „Meistersinger von Rom“ (immerhin: Hans Sachs, 1494 bis 1576 – Benvenuto Cellini, 1500 bis 1571).

Im Mittelpunkt der Oper steht die große Szene des römischen Karnevals am Faschingsdienstag mit ausladendem pantomimischen Intermezzo in Form einer Commedia dell‘arte. Vielleicht hätte man sich ja dafür doch lieber einen Regisseur vom nahen Bochumer Schauspielhaus holen sollen, denn wie Pedro Malinowski das mit seinen Mimen-Kumpanen in Szene gesetzt hat, war so dilettantisch und unbeholfen, dass man sich die Augen rieb – eine Knallchargen-Performance, wie man sie sich an einem Haus, das einen Bernd Schindowski als Ballettchef hat, nie hätte träumen lassen! Gleichwohl: Das Werk gewinnt als Opéra comique – insofern hat Gelsenkirchen gegenüber Zürich (wo David Pountney und John Eliot Gardiner „Benvenuto Cellini“ in einer bravourösen Aufführung auf die Bühne gewuchtet haben) sogar gepunktet.

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