Auch weiterhin in der B-Klasse

Das Wiener Staatsopernballett veröffentlicht seine Pläne für 2005/06

oe
Stuttgart, 21/04/2005

Da ist sie nun, die Spielzeitvorschau der Saison 2005/06 und bestätigt zusammenfassend, was häppchenweise schon vorher weitgehend bekannt war. Der neue Ballettdirektor und Zanella-Nachfolger heißt Gyula Harangozó. Er ist Jahrgang 1956, entstammt einer berühmten ungarischen Ballettfamilie, verfügt über einen reichen internationalen Erfahrungsschatz (auch als Tänzer des Wiener Staatsopernballetts), leitet seit Jahren das in zwei Häusern tanzende Ballett der Budapester Staatsoper und ist ohne choreografischen Ehrgeiz. Er ist verantwortlich für die nunmehr zusammengeführten Ballettensembles der Staatsoper und der Volksoper sowie für die Ballettschule der Staatsoper. In seiner Regierungserklärung verweist er auf die „Zusicherung von künstlerischer Autonomie und wirtschaftlicher Eigenverantwortung“ und verspricht sich von dieser neuen Organisationsstruktur „einen erhöhten Stellenwert im künstlerischen Angebot der beiden Häuser“.

So weit, so gut. Ein ausgesprochener Coup ist ihm mit der Verpflichtung von Sándor Némethy als Ballettmeister und Stellvertreter des Ballettdirektors für künstlerische Belange gelungen. Némethy ist nicht nur sein Landsmann, sondern auch derjenige, dem das Staatsballett Berlin seinen enormen künstlerischen Aufschwung während der letzten beiden Jahre zu verdanken hat (mehr als seinem Chef Vladimir Malakhov). Konsolidierend dürfte sich auswirken, dass mit Traude Klöckl (Tagesdisposition, Produktionsplanung und Stellvertreterin des Ballettdirektors für betriebliche Belange) und Alfred Oberzaucher (Ballettdramaturgie und Presse) zwei dem Wiener Ballett mit Haut und Haaren verschriebene Persönlichkeiten auch weiterhin zur Verfügung stehen. Von den sieben Proben- und Trainingsleitern ist nur Milan Hatala auch außerhalb Wiens bekannt – von den sechs Solotänzerinnen allenfalls Roswitha Over, von den vier Solotänzern lediglich Boris Nebyla. Als Gastsolistinnen werden genannt Margaret Illmann, Simone Noja und Polina Semionova, als Gastsolisten Gregor Hatala, Giuseppe Picone und Tamás Solymosi (aber nicht Vladimir Malakhov).

Von den bisherigen fünf plus sechs Ersten Solotänzerinnen und Solotänzern sind ganze drei übriggeblieben (außer Over und Nebyla auch Shoko Nakamura): ein enormer Aderlass. In seiner Einladung zur Ballettsaison legt Harangozó großen Wert auf die Präsentation großer Handlungsballette und kündigt als Premieren „Coppélia“ (in der choreografischen Fassung seines Vaters Gyula Harangozó) sowie Crankos „Onegin“ an – dazu als Uraufführung „Tschaikowski Impressionen“ von Ivan Cavallari (in der Volksoper). Ebenfalls in der Volksoper wird es einen dreiteiligen Abend „Nicht nur Mozart“ geben mit Balletten von Myriam Naisy, András Lukács und Jiří Kylián. Das klingt nicht gerade aufregend – aber zunächst ist Harangozó offenbar erst einmal auf Absicherung des notorisch schwierigen Wiener Bodens bedacht. Immerhin gibt es kein Anzeichen, dass er mit einem mehr experimentellen Abend auch außerhalb dieser beiden traditionellen Spielstätten neue Energien zu mobilisieren gedenkt.

Im weiteren Programm werden die Klassiker „Giselle“, „Schwanensee“, „Dornröschen“ und der „Nußknacker“ (von Zanella) genannt, von Neumeier „Wie es euch gefällt“ und der „Diaghilew-Abend“ von Zanella („Dreispitz“, „Spectre de la Rose“, „Renard“ und „Petruschka“) sowie in der Volksoper Madias „Alice“. Auffällig sonst noch ist allenfalls der Verzicht auf die traditionelle „Puppenfee“. Nach einem Aufbruch zu neuen Horizonten sieht das nicht unbedingt aus. Eher nach einem Start con sordino. So wird das Wiener Staatsopernballett wohl auch in Zukunft weiterhin in der zweiten Klasse spielen – ohne Aussicht auf einen Platz in der Champions League.

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