Aus der tiefsten russischen Märchentruhe

Rimsky-Korsakows Zauber-Ballettoper „Mlada“ auf DVD

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Stuttgart, 23/12/2005

Eine Märchenoper aus dem Urgrund der russischen Legenden: das ist Nikolai Rimsky-Korsakows „Mlada“ – offenbar die einzige Oper, deren Titelheldin bereits zu Anfang tot ist, vergiftet von der Prinzessin Woislawa und deren Vater, weil sie es auf den Verlobten von Mlada, den Prinzen Jaromir abgesehen hat. Der allerdings will von Woislawa nichts wissen, weswegen sie sich mit der unterirdischen Göttin Morena verbündet, die alle höllischen Geister aufbietet und Jaromir mit der Königin Kleopatra zu verführen sucht. Der weiß nicht mehr ein noch aus und wendet sich an den Gott Radegast und triumphiert schließlich über die Macht des Bösen, die die Welt ins Verderben stürzt, aber nichts gegen die seligen Geister ausrichten kann, die Jaromir und Mlada in Liebe vereint zu sich ins Jenseits holen.

Es ist eine krude Story, ursprünglich geplant als Kollektivoper von Cui, Borodin, Mussorgsky und Rimsky-Korsakow, die aber nicht über Skizzen hinaus gedieh, bis sich Rimsky-Korsakow später erneut des Stoffes annahm und ihn als Zauber-Ballettoper in vier Akten komponierte. Die gelangte 1892, dirigiert von dem berühmten Eduard Naprawik in der Choreografie von Lew Iwanow und Enrico Cecchetti am St. Petersburger Marinsky-Theater zur Uraufführung, wobei Strawinskys Vater die Rolle des Fürsten Mstiwoi sang, und Maria Petipa die Titelrolle tanzte. Ihr war kein Erfolg beschieden, und sie scheint bis heute in Deutschland noch nicht aufgeführt worden zu sein, und auch in Russland hat sie sich nicht durchsetzen können. Die jetzt als DVD übernommene Moskauer Bolschoi-Produktion stammt aus dem Jahr 1988 und entstand in russisch-amerikanischem TV-Auftrag 1992 – dirigiert von Alexander Lazarew, inszeniert von Boris Pokrowsky, choreografiert von Andrei Petrow und ausgestattet von Valeri Lewental – mit Nina Ananiaschwili in der stummen Rolle der Mlada (dazu Oleg Kulko als Prinz Jaromir und Maria Gawilowa als Prinzessin Woislawa) – auf NVC Arts und Warner Music Vision, 4509-92052-2, 1 DVD, 138').

Es ist eine ungemein spektakuläre Produktion, die man sich als Ballettopern-Mix aus „La Sylphide“ und Wagners „Ring des Nibelungen“ vorstellen mag, musikalisch unüberhörbar beeinflusst von Wagner, von Rimsky-Korsakow überaus farbenreich instrumentiert, mit vielen Folklorismen, auch aus Tschechien, Litauen und Indien (voller Deutschen-Hass), mit zahllosen Tänzen und der unentwegt als Schatten erscheinenden Mlada (an der Seite ihres Schatten-Verlobten Jaromir, den Kyrill Nikitin tanzt). Pokrowsky hat Puppen als Doubles eingeführt und dafür gesorgt, dass immer viel los ist auf der ständig verwandelten Bühne. Eine durchaus unterhaltsame Show für (sehr) naive Gemüter – mit Mitgliedern des Bolschoi-Balletts in voller Aktion und der hinschmelzend lieblichen Nina Aniaschwili nicht nur als Schatten der verstorbenen Mlada, sondern auch als Schatten der gleisnerisch verführerischen Kleopatra.

Übrigens gibt es im Jahrmarktsbild des zweiten Aktes ein großes Solo – es handelt sich wohl um ein Lied des Tschechen (die beigegebenen Informationen sind von einer nicht mehr zu unterbietenden Dürftigkeit) – das sich wie eine Vorwegnahme der Deklamation von Strawinskys „Noces“ ausnimmt. Zu empfehlen der Russen-Mafia unter den Ballett- und Opernfans, die an Werken wie „Ruslan und Ludmilla“, „Fürst Igor“ und „Sadko“ ihre Freude haben.

Unter dem gleichen NVC Arts / Warner Music Vision Label: „The Bolshoi Ballet in the Park“ (510110816-2, 1 DVD, 117') als TV-Koproduktion mit der BBC, Jahrgang 1986. Da handelt sich‘s um Divertissements aus dem Londoner Battersea Park, mit einer hinreißend getanzten Aufführung von „Les Sylphides“ (Bessmertnowa, Semenjaka, Semizorowa und Alexei Fadejetschew), dem zweiten Akt aus „Spartakus“ (Muchamedow, Bessmertnowa, Lazarjew und Michalschenko) sowie Pas de deux aus „Dornröschen“ (Ananiaschwili und Nikonow), „Schwanensee“ (Semizorowa und Fadejetschew), Schostakowitsch/Grigorowitschs „Das Goldene Zeitalter“ (Bessmertnowa und Muchamedow), Rachmaninow/Messerers „Frühlingsfluten“ (Bylowa und Nikonow), dem Grand Pas aus „Don Quichote“ (Semenjaka, Yuri Wasjuschenko, Bessmertnowa und Golikowa) sowie dem Solo des Solor aus „La Bajadère“ (Michail Tsiwin). Bolschoi in Topform!

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