In bester Tradition von Reinhardt-Piscator-Eisenstein

Dacapo für Christof Loys Inszenierung von Berlioz' „Die Trojaner“

oe
Düsseldorf, 14/11/2005

Das Duisburg-Düsseldorfer „Trojaner“-Projekt ist ein derart monumentales, aber auch komplexes Unternehmen, dass ich‘s schon noch etwas genauer wissen wollte! Wie kriegt Christof Loy es hin, dass alles ständig in Bewegung und kontinuierlichem Fluss scheint, ohne dass man doch von choreografischer Regie sprechen könnte? Vielleicht sollte man es lieber eine instrumentalisierte Inszenierung nennen.

Wie er gleich zu Beginn, bei der Rückkehr der Trojaner in ihren kriegslädierten Palast (der der zerstörten Berliner Reichskanzlei ähnelt – Bühne: Herbert Murauer) die Massen dynamisiert, wie das wogt und ebbt und flutet (es wird eifrig geplündert, die Rückkehrer versuchen, irgendwelche Überbleibsel zu ergattern), ist atemberaubend. So ähnlich, stelle ich mir vor, müssen die legendären Massenspektakel Max Reinhardts im ehemaligen Berliner Zirkus Schumann ausgesehen haben. Den „Pas de Lutteurs“ (Ringkämpfer) inszeniert er als kraftstrotzende Akrobatenrangelei mit vielen Flickflacks, Hechtsprüngen und Saltos, die anschließende Pantomime mit Monique Janotta als Andromache als großes Trauer-Tableau. Ungeheuer beklemmend dann der kollektive Selbstmord der trojanischen Frauen im bunkerartigen Verlies unter dem Palast, wenn sie die Gasleitungen aufdrehen. Das erinnert sehr an die letzten Stunden im „Führerbunker“.

Der dritte Akt, bei Dido in Karthago, ist ein gewaltiger Staatsakt, in dem Dido die Preise für hervorragende Verdienste der Arbeiter, Matrosen und Bauern verleiht – sehr nach dem Muster der Ex-DDR. Die drei vorgesehenen Entrées werden zusammengefasst, es gibt einen Doku-Film über den Aufbau des neuen Staates. Gegen Schluss kommt es zu rassistischen Ausschreitungen gegen das farbige Wachpersonal, bei der Drohung gegen „die schreckliche Horde der Afrikaner“. Der Bote, der die Nachricht von der Invasion der Afrikaner überbringt, verständigt sich in der Taubstummensprache. Weniger befreunden kann ich mich mit der umfangreichen Pantomime der „Königlichen Jagd und des Sturms“, dem musikalischen Glanzstück der Partitur.

Loy beginnt hier mit den Reisevorbereitungen Didos (mit offenbar unvermeidlichem Koffer), inszeniert dann eine Art Aufstand der Werktätigen gegen die ihre königlichen Pflichten vernachlässigende Dido und blendet dann über in eine Party in Didos totschickem Wochenend-Landhaus – Dolce vita à la Karthago, wo Loy von den drei Balletteinlagen den Tanz der nubischen Sklavinnen mit ihren gutturalen Schreien zu einer Art Karthago-Rock nutzt, angeführt von der kokett ihre Hüften schwingenden Dido. Hier wird eifrig geliebt, das Verhältnis Narhabal (ein staubtrockener Bürovorsteher) und Anna (Didos lebenslustige Schwester) stabilisiert sich, hindert Anna aber nicht daran, sich von dem sexhungrigen Pentheus verführen zu lassen, der sie dann lächelnd wieder verlässt, nachdem er seine Lust an ihr gestillt hat.

So erfindet Loy eine Reihe von Nebenhandlungen (auch dann im Schlussakt), die dafür sorgen, das immer etwas (durchaus dramaturgisch Legitimiertes) los ist – nie jedoch Bewegung um ihrer selbst willen kultiviert wird. Wie gesagt, immer strikt auf die Musik hörend, hält Loy die Aktion in permanentem Fluss: kein Choreograf (als die sich so viele seiner Kollegen gerieren, die damit ihre Musikalität unter Beweis stellen wollen), sondern ein genialer Instrumentator der Massen – wie einst Max Reinhardt, Erwin Piscator und Sergej Eisenstein.

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