Der Mann, dem Deutschland sein Ballettlexikon verdankt

Zum Tod des Verlegers Erhard Friedrich

oe
Stuttgart, 08/10/2005

Er begann als Anzeigen-Akquisiteur und starb am 23. September als ein großer Verleger: Erhard Friedrich, dessen Verlage in Velber bei Hannover und Berlin sich zu einem regelrechten Imperium ausgeweitet haben – das in Zusammenarbeit mit anderen renommierten Verlagen eine eigene pädagogische Provinz in der Landschaft der deutschen Buchmacher bildet. Doch nicht der pädagogische Aspekt seines Verlags interessiert uns hier, sondern der Namenspatron der Friedrich Berlin Verlagsgesellschaft, der zunächst von Velber aus zu einem der einflussreichsten Verleger von Publikationen über die verschiedensten Aspekte des deutschen und internationalen Nachkriegstheaters wurde und besonders mit seinen 1960 erstmals erschienenen Zeitschriften Theater heute und Opernwelt Furore machte.

Tanz und Ballett waren in den Anfängen noch in den beiden Zeitschriften integriert, machten sich erst peu à peu selbständig, doch schon fünf Jahre später erschien „Ballett 1965 – Chronik und Bilanz des Ballettjahres“, herausgegeben von einem gewissen oe und Clive Barnes, und von 1967 an taucht der Name auf, dem das als Fels in der Brandung der sehr wechselhaften Geschicke inzwischen als „Jahrbuch von ballettanz“ firmierende Annual seine Überlebenszähigkeit verdankt: Hartmut Regitz. Die Gedanken schweifen zurück bis in die Sommermonate der sechziger und siebziger Jahre, da wir mit Koffern voller Manuskripte und Fotos nach Velber fuhren, um dort mit der Hilfe von Henning Rischbieter und seinen Theater-heute-Redakteuren in einer Scheune das Layout des Jahrbuchs einzurichten – mit Stippvisiten des Verlegers, der es sich nicht nehmen ließ, uns mit immer wieder neuen Plänen herauszufordern. Und so kam es schon 1964 zu den ersten Buchveröffentlichungen in der „Reihe Theater heute“ über „Yvonne Georgi“ und „Balanchine und das moderne Ballett“, gefolgt 1972 vom dickleibigen „Friedrichs Ballettlexikon“.

Doch es war klar, dass Friedrich, ein ungeheuer umtriebiger Mann, den beiden Schauspiel- und Opernzeitschriften ein tänzerisches Pendant an die Seite stellen wollte. Aber das war ein sehr mühseliger, sich jahrelang hinziehender Prozess des ständigen Hin und Her zwischen dem von Rolf Garske in Köln herausgebenen „Ballett International“ und dem Verlag in Velber bis zur 1994 vollzogenen Vereinigung von „Ballett International“ und „tanz aktuell“. Ach, was waren wir damals voller Pläne und voller Enthusiasmus. Gern denke ich an unsere Redaktionssitzungen mit Johannes Odenthal in Velber zurück, von denen ich jedes Mal mit einem ganzen Bündel neuer Ideen nach Stuttgart zurückgekehrt bin. Und an allen nahm Friedrich – der übrigens zum legendären Ballettjahrgang 1927 gehörte (Béjart, Grigorowitsch, Cranko, Erich Walter, Pavel Smok – bis zu Clive Barnes und John Percival!) lebhaften Anteil.

Mit der Übersiedelung der Theaterpublikationen nach Berlin zog sich der Chef von der aktiven Einflussnahme auf die Verlagsarbeit zurück – die überließ er der jüngeren Generation, die für ihre Zeitschrift „ballettanz“ reklamiert, „europe‘s leading dance magazine“ zu sein – ein Slogan, der irgendeinem Journalisten einmal eingefallen ist, und der unter den Kollegen im In- und Ausland, vor allem aber auch unter den Tanzschaffenden nur ein leichtes Kopfschütteln verursacht. Und das hat der Gründervater des Friedrich Verlags nun wirklich nicht verdient.

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