Ein Mann von unvorstellbarer Beharrlichkeit

Zum Tod von Heinz Laurenzen

oe
Stuttgart, 21/06/2005

Auch ihm hätte ein Ehrenkapitel in Giora Manors leider nicht mehr zustande gekommenem Buch über die „Ermöglicher“ des Tanzes gebührt, denn er war einer von ihnen, wenn auch ein ganz anderer als etwa Diaghilew, Rolf de Maré, Kirstein, Rambert oder Bethsabee de Rothschild. Er hat keine Kompanie ins Leben gerufen und auch keine Schule, und doch wurde er zu einer der großen Gründerfiguren des deutschen Tanzes nach dem Zweiten Weltkrieg – und als er 1986, sechsundfünfzigjährig, den Deutschen Tanzpreis erhielt, rühmte ihn die Festschrift als den entscheidenden Initiator des deutschen Zentrums der Ballettkultur, und das hieß damals noch Köln.

Tempi passati! Das hätte bei seiner Geburt am 8. Januar 1930 im niederrheinischen Sankt Hubert niemand vorauszusagen gewagt – und doch muss an seiner Wiege wohl eine Fliederfee Pate gestanden haben (allerdings auch eine Carabosse, die sich heimtückischer Weise jahrzehntelang im Verborgenen hielt, um ihm die Schlussjahre seines nun am 16. Juni in einem Kölner Krankenhaus zu Ende gegangenen Lebens gründlich zu vergällen.

Die Rede ist von Heinz Laurenzen. Einen wie ihn hat es vor ihm in der Geschichte der Tanzkunst in Deutschland nicht gegeben – und, so steht zu befürchten, wird es wohl auch so schnell nicht wieder geben. Für die Eintragung im Lexikon nannte er als seine Berufsangabe: Amtsrat. Mir zumindest ist kein anderer Amtsrat bekannt, der so viel Gutes für den deutschen und internationalen Tanz bewirkt hätte wie H. L. Das begann, harmlos genug, am 14. April 1955 in Krefeld, wo er die Gründung der „Gesellschaft des künstlerischen Tanzes“ initiierte, zusammen mit den beiden Wuppertaler Dioskuren Erich Walter und Heinrich Wendel und mit Kurt Jooss als Schirmherr, wobei Otto Friedrich Regner und Kurt Peters die Festreden hielten.

Zwei Jahre später gab es dann die erste Sommerakademie des Tanzes in Krefeld, wofür sich bereits 170 Tänzer anmeldeten. Das war damals eine Sensation, die weltweit Schule machte und in Krefeld rasch alle Dimensionen sprengte. Heute gibt es solche Sommerkurse und Stages wie Sand am Meer. Ihren internationalen Ruf erwarb sie sich dann 1961 mit ihrer Übersiedelung nach Köln – und mit ihm wuchs das internationale Renommee von H. L. als ihr Direktor, der die berühmtesten Pädagogen aus aller Welt nach Köln holte (die Tänzer kamen von ganz alleine), der in Köln den Choreografischen Wettbewerb ins Leben rief, die „Woche des modernen Tanzes“ anregte und mit zahllosen Rahmenveranstaltungen für ein breites, grundsolides Fundament des Kölner Tanzbooms sorgte. Dass er obendrein die Graue Eminenz des neu gegründeten Instituts für Bühnentanz und Verwaltungsdirektor der Rheinischen Musikschule wurde, sicherte ihm eine Machtfülle, die weit über ihren lokalen Wirkungsrahmen ausstrahlte.

Dabei kam ihm seine untrügliche Spürnase für Ausnahmetalente zugute – sowohl für Pädagogen wie für Tänzer. Wer weiß heute noch, dass eine Sylvie Guillem bereits lange vor ihrem Pariser Star-Avancement in Köln Aufmerksamkeit auf sich zog? In seiner Laudatio anlässlich der Verleihung des Deutschen Tanzpreises hat ihn Helmut Scheier gerühmt als einen „Mann unvorstellbarer Beharrlichkeit, der um jede Chance ringt, um jede Mark kämpft, als sei sie seine eigene, der kein persönliches Opfer an Kraft und Zeit scheut, sein Ziel zu erreichen. Und doch nicht nur ein Mann des Organisierens und Verwaltens. Wer genau hinsieht, entdeckt in ihm den versteckten Liebhaber. Seine Bewunderung für die vollkommene Tänzerin, den vollkommenen Tänzer ist unbegrenzt, und seine private Leidenschaft für Jugendstil und Art Deco wirft ein bezeichnendes Licht auf seine Persönlichkeit.“

In einem hat Scheier allerdings nicht recht behalten. Und zwar indem er proklamierte: „Das Glück wird ihn nicht verlassen!“ Es hat ihn verlassen, als Carabosse ihn mit ihrem Fluch in die peu à peu über ihn hereinbrechende Nacht verbannte. Aber vielleicht war das ja auch eine Art negativen Glücks, denn so hat er vielleicht den beispiellosen Niedergang der Tanzkunst in Köln während der letzten Jahre nicht mehr bewusst mitbekommen.

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern