Eine neue Gattung des Dancicals?

Matthew Bournes „CarMan“ und ein paar andere DVDs

oe
Stuttgart, 24/06/2005

Ein Dancical in der Tradition des französischen Cinéma noir ist Matthew Bournes „CarMan“ – ein getanztes Musical als Auto-Erotic Thriller, und zwar von der schwärzesten Sorte. Dagegen mutet Jerome Robbins‘ legendäre „West Side Story“ wie eine Vorstudie an. Bournes eigenwillige „Carmen“-Version, musikalisch auf der von Terry Davies erweiterten Bizet-Bearbeitung von Rodion Schtschedrin beruhend, hat nichts mehr mit den diversen Ballettadaptionen der Oper zu tun. Seine Vorbilder sind eher Filme von Visconti („Ossessione“, beziehungsweise dessen amerikanische Variante „The Postman Always Rings Twice“), Clément („Plein soleil“ – „Nur die Sonne war Zeuge“), Fassbinder („Querelle“ nach Genet) und Chéreau („L‘homme blessé“ – „Der verführte Mann“).

Entsprechend hat sich Bournes weibliche Titelfigur von Merimée einer Geschlechtsumwandlung unterzogen. Luca ist ein Herumtreiber, eben der Car Man, der Sex aus allen Poren schwitzt. Er kommt in ein verschlafenes Nest im amerikanischen mittleren Westen, heuert an bei einer Tankstelle, die auch als Autoreparaturwerkstatt und als Diner fungiert. Ein Macho und Outcast comme il faut, mischt er die unter der Sommerschwüle stöhnende lokale Klientel total auf, verführt nicht nur Lana, die Frau des Tankstellenbesitzers Dino, sondern auch den noch unschlüssigen Boy Angelo. Es kommt zu Mord und Totschlag, dem Dino zum Opfer fällt, aber der Verdacht der Cops richtet sich auf Angelo, der in den Knast wandert, dort von den Aufsehern vergewaltigt wird und so fort.

Das ist ziemlich roh und brutal zusammengeschustert, verliert im zweiten Teil auch erheblich an dramaturgischer Plausibilität, ist aber in seinem tänzerischen Brutalo-Stil mit einer hochgradig explosiven Sexiness aufgeladen, die so ziemlich alles, was uns das Ballett auf diesem Gebiet von Petit über Robbins und Béjart bis zu Kresnik zugemutet hat, in den Schatten stellt. Und wird von den Mitgliedern der noch unter dem Namen „adventures in motion pictures“ firmierenden englischen Company mit einer elektrisierenden Passioniertheit und in einem Tempo serviert, die jeden dafür Empfänglichen unweigerlich anmachen (kdm in Association with Warner Music Vision, DVD 0927-42129-2, 2001, ca. 100_ - mit einem Bourne-Interview).

Dagegen muten drei weitere in Zusammenarbeit mit NVC Arts und Warner Music Vision kürzlich erschienene DVDs ausgesprochen harmlos an. Dabei handelt es sich einmal um eine abgefilmte Vorstellung „American Ballet Theatre in San Francisco“ (mit Paul Taylors „Airs“, Antony Tudors „Jardin aux lilas“, dem von Cynthia Gregory und Fernando Bujones getanzten „Schwarzen Schwan“ und dem Balkon-Pas-de-deux aus Kenneth MacMillans „Romeo und Julia“ mit Natalia Makarova und Kevin McKenzie sowie Lynn Taylor-Corbetts „Great Galloping Gottschalk“). Unter den Tänzern sind Leslie Browne, Robert LaFosse, Michael Owen und Martine van Hamel – auf 50 50467 8030-2 2, 1985, 105‘.

Die beiden anderen sind zwei Kenneth Macmillan-Produktionen mit dem Royal Ballet: Prokofjews „Romeo und Julia“ (mit Alessandra Ferri und Wayne Eagling sowie Stephen Jefferies als Mercutio, David Drew als Tybalt und Julian Hosking als Paris – auf 0630-19393-2, 1984, 128‘) und Brittens „The Prince of the Pagodas“ (mit Darcey Bussell als Princess Rose, Fiona Chadwick als Princess Epine, Jonathan Cope als Prince, Antony Dowell als Emperor und Simon Rice als Fool) – auf 9031-73826-2, 1990, 194‘, inklusive „Out of Line“, einem sehr informativen Portrait MacMillans, mit diversen Statements und Interviews, u.a. von MacMillan und seiner Frau Deborah, Ninette de Valois, Lynn Seymour, Alessandra Ferri, Clive Barnes und Clement Crisp.

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