Hat der Bär zuviel Ahorn-Sirup konsumiert?

[bjm_danse] im Forum am Schlosspark

oe
Ludwigsburg, 14/10/2005

Soviel Kanada wie derzeit war offenbar nie zuvor an den deutschen Tanzbühnen: Reid Anderson in Stuttgart, Paul Chalmer in Leipzig, Aaron Watkin und Jason Beechey in Dresden, dazu Marie Chouinard (das ist die orthopädische Physiotherapie-Ballerina) in allen Festivalzentren – und nun also auch Les Ballets Jazz de Montréal – oder wie sie sich neuerdings Internet-schick nennen: in Ludwigsburg, etc. (habe ich jemanden vergessen?). Erstaunlich! Und was ist mit den Deutschen in Kanada? Fehlanzeige! Gönnen wir‘s den Kanadiern – sie sind immerhin das zweitgrößte Land der Erde, existieren seit 1972 und haben sich als Jazzkompanie einen internationalen Namen gemacht.

Ihr Leiter ist seit 1988 der aus Montréal stammende Louis Robitaille, der laut Programmheft der Kompanie ihren neuen Namen (s.o.) verschafft hat, „in perfekter Harmonie mit ihrer Geschichte“ nebst ihrer „Neuausrichtung mit ihrer enormen Vielfalt an Innovationen“. Seit 2001 fungiert die aus British Columbia stammende Crystal Pite als Haus-Choreografin, die sich viel auf ihre Mitgliedschaft bei Forsythes Frankfurter Ballett zugutehält. Sie zeichnete auch für die Eröffnungsnummer, „Old Song“, ein viel zu langes Solo für Katherine Cowie, die zu den aus den Lautsprechern wummernden Klängen von Veda Hille die kautschukartige Elastizität ihres Körpers in immer neuen Windungen demonstrierte. Auf die Forsythe-Herkunft der Choreografin hätte ich nicht getippt: eine Studie in Modern-Dance-Loneliness.

Dann folgte das zweiteilige Hauptprogramm: „The Stolen Show“, von Pite zu Originalmusik von Owen Belton (die sich nicht besonders eingeprägt hat) choreografiert: I. „Short Works:24“ und II. „Xspectacle“ und „The Stolen Show“. Die „Short Works“ sind 24 Miniaturen von jeweils nicht mehr als einminütiger Dauer, Soli, Duos, kleine Ensembles, nur gegen Schluss ein paar Formationen der Zwölf-Tänzer-Truppe – abgewickelt als Countdown, verabreicht in Häppchen. Von kaum sonderlichem Belang, am lustigsten die Nr. 13, ein johlendes, Hip-Hop-artiges Sechs-Männer-Ensemble, und etwas später als Pendant dazu ein paar überkandidelte Frauen. Und nicht zu vergessen, ein traurig über die Bühne trottender Bär. Irgendeine Jazz-Legitimation konnte ich nicht entdecken.

Aufwendiger dann der zweite Teil des als Pite-Trilogie annoncierten Gesamtprogramms – in „Xspectacle“ im Grunde eine etwas ausgedehntere Version der Countdown-Häppchen und in „The Stolen Show“ eine Vaudeville-Burleske, mit projizierten Lachanweisungen ans Publikum, weiter zwei Ladies, die sich um drei High-Heel-Stilettos balgten, sowie einem Entertainer, der mit gerupftem Geflügel wie mit Keulen hantierte (ein geradezu makabrer Joke angesichts der derzeit grassierenden Vogelgrippe). Ach ja, und der Bär, uns traurig anstarrend, hatte hier eine richtige Solonummer! Der Mehrzahl des Publikums hat‘s gefallen, eine lautstarke Minderheit hat sich offenbar bis zum Kreischen amüsiert. Ich fand‘s sterbenslangweilig, fragte mich, wo denn wohl der in der Gründungsurkunde beschworene Jazz abgeblieben sei und sehnte mich nach Alvin Aileys „Blues Suite“ und „Revelations“ zurück.

 

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