Im Geheimclub der tanzenden Schwerter

Der Film „House of Flying Daggers“

oe
Stuttgart, 14/01/2005

Nachgerade sollten wir einen neuen Begriff für diese chinesische Gattung erfinden, der das europäisch-amerikanische Kino nichts Entsprechendes entgegenzusetzen hat. Action Film, Love Story, Cinemusical – von allem haben diese chinesischen Filme etwas, dazu kommen aber noch die sehr chinesischen Martial Arts und vor allem die Computer-Animationen, die diese fantastischen Luftballette ermöglichen. Wir bestaunten sie zuerst in Ang Lees „Tiger & Dragon“ und dann in Zhang Yimous „Hero“. Doch dessen neuester Film „House of Flying Daggers“ übertrifft alles, was ich bisher gesehen habe – nicht zuletzt durch seine Poesie und die pure Schönheit seiner Bilder, sowohl in den Innenszenen zu Beginn im Palast der Pfingstrose (einer wahren Wunder-Architektur) und dann in den diversen Landschaftsaufnahmen im Wechsel der Jahreszeiten. Wer gedacht hat, dass die Artistik der Peking Oper nicht zu übertreffen ist – hier haben wir sie in megachoreografischer Version.

Was ist Wahrheit, was Fiktion in dieser märchenhaften Handlung, die im Jahr 859 spielt, in der Tang-Dynastie, wo die korrupte Regierungsmacht und eine als „House of Flying Daggers“ fungierende Rebellengruppe einander bekämpfen, wo man kaum je sagen kann, wer zu welcher Seite gehört, ob die Gefühle echt oder nur geheuchelt sind? Ist die unglaublich schön anzusehende, als Tänzerin phänomenal graziöse und biegsame Zhan Ziyi nun blind, oder kann sie doch sehen, ist sie eine Edel-Prostituierte im Bordell oder eine als Lockvogel angeheuerte Spionin, wen von den beiden um ihre Liebe wetteifernden Soldaten liebt sie nun wirklich – alle beide – oder keinen von ihnen? Erst ihr Tod bringt halbwegs Aufklärung in das Verwirrspiel.

Es beginnt mit einem großen, meisterhaft choreografierten Echospiel, in dem einzelne Bohnen gegen Trommeln geschnippt werden, abprallen und gegen andere Trommeln fliegen, aus der sich der Solotanz der Dame Mei entwickelt, die mit ihren wehenden Schleierärmeln die Flugbahnen der Bohnen wie in abstrakten Graffiti nachzeichnet. Was mich ein bisschen an Lin Hwai-mins „Cursives“ erinnert. Und so geschieht es dann Szene um Szene, wenn die reale Situation – meist von Kämpfen, Mann gegen Mann, Mei sich der Übermacht ihrer Verfolger erwehrend, Mei mit ihrem Liebhaber sich verteidigend gegen eine ganze Horde von Feinden – in eine reine Choreografie übergeht, blitzende Messer, Schwerter und Dolche durch die Luft sausen, Pferde sich aufbäumen, Männer von Bäumen herabstürzen.

Das ist geradezu atemberaubend choreografiert, so dass einem förmlich die Augen übergehen. Vergleichen kann ich das nur mit jenem Entwicklungsstadium der amerikanischen Musicals (etwa beim frühen Balanchine, auch bei Fred Astaire und vor allem bei Gene Kelly oder auch in Agnes de Milles „Oklahoma!“), wo der Dialog nahtlos in den Tanz übergeht. Wobei die Technik dieser frühen Musicals (auch in den Filmspektakeln von Busby Berkeley) durch die Möglichkeiten der Computer-Animation noch eine Dimensionserweiterung ins Magisch-Mystische erfährt. Sollte man unbedingt gesehen haben, diese – wie nenne ich‘s nun: vielleicht Aero-Choreografie.

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