Im Schneckentempo

Zur Eröffnung der 28. Händel-Festspiele: „Almira“

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Karlsruhe, 18/02/2005

Viereinviertelstunden lang (inklusive zweier Pausen) hin und her gerissen zwischen staunender Bewunderung und ermüdender Langatmigkeit im Großen Haus des Badischen Staatstheaters bei der Eröffnung der diesjährigen Karlsruher Händel-Festspiele mit der Oper „Der in Kronen erlangte Glückswechsel, oder Almira, Königin von Kastilien“. Die erste Oper des Neunzehnjährigen, geschrieben und uraufgeführt vor ziemlich genau dreihundert Jahren, 1705, im Hamburger Theater am Gänsemarkt. Oper? Ein krauses Gemisch aus Singspiel, Oper und Ballett. Mit deutschen sowie italienischen Texten und vorwiegend französischen Tänzen. Ohne einen einzigen Kastraten (die gab es damals noch nicht in Hamburg).

Aufgeführt von einer kompetenten Sängerequipe, der Badischen Staatskapelle mit Ergänzung durch ein auf historischen Instrumenten musizierendes Ensemble, drei Barocktänzern, drei Paaren Extraballett, der Kinder-Statisterie, Jongleure und Feuerschlucker, dirigiert von Michael Hofstetter, renommierter Mann der historischen Aufführungspraxis (demnächst auch für Ludwigsburg zuständig), inszeniert und ausgestattet von Peer Boysen, choreografiert von Alain Christen (Schweizer, „schwerpunktmäßig befasst mit dem Repertoire der ‚Belle Danse‘, einer Beschreibung für den Barock-Tanz, Mitglied der Wiener ‚Hoftänzer‘-Compagnie“), dramaturgisch kuratiert, wie man das heute ja wohl nennt, von Margrit Poremba (zuständig auch für das vorzügliche Programmheft – mit hervorragenden Informationen über den Tanz am Beginn des 18. Jahrhunderts) – mit musikalischen Ergänzungen von Thomas Leininger (von dem wohl auch der musikalische Glanzpunkt der Aufführung stammt, eine Instrumentalversion der Arie „V‘adoro, pupille“ aus Händels „Giulio Cesare“).

Ein Spektakel sondergleichen, mit grässlich aufgeschwemmten Kostümen, die die Sänger, Frauen wie Männer, erscheinen lassen, als ob sie alle schwanger wären. Die übliche Handlung, mit vielen Intrigen, besonders der amourösen Art. Kaum zu durchschauen (umso weniger, da auch die deutschen Texte kaum zu verstehen sind) – ist auch nicht weiter wichtig. Von Boysen (dessen Karlsruher Inszenierung von Händels „Giustino“ vor ein paar Jahren noch in bester Erinnerung ist) arrangiert als eine offenbar von der Commedia dell‘arte inspirierte, aber ganz ins Barock-Manieristische verfremdete Revue bewegter Bilder, eine Commedia manieristica sozusagen, mit neckischen Tänzchen unterlegt, ewigem Getrappel, Gehampel und Juchhe-Gehopse, ab und zu leicht spanisch timbriert (das Stück spielt in Kastilien in einem fiktiven 16. Jahrhundert) und einer Tänzerin, die unentwegt auf dem Laufsteg der Orchesterbrüstung ihre Kreise zieht.

Die Musik Händels: durchaus bereits die Pranke des Löwen zu erkennen, mit ein paar hübschen, auch ergreifenden Arien (mehrfach von Oboen oder Blockflöten zärtlich umsäuselt), aber endlos scheinenden ausgedörrten Rezitativstrecken – nicht zuletzt in den lediglich von einer Continuo-Gruppe begleiteten Gesangsnummern. Man wird der Händel-Autorität Paul Henry Lang zustimmen können: „Diese erste Jugendoper ist eine beachtliche Leistung. Die Musik klingt gut. Die schöne Gruppe Lullyscher Tänze ist frisch und elegant. Sebastian Bach kannte und bewunderte ‚Almira‘“. Ich täte es ja auch gerne, war aber von der Langatmigkeit der Aufführung derart genervt, dass ich das Theater am liebsten schon nach dem anderthalbstündigen ersten Akt verlassen hätte und mich fragte, ob Boysen den Darstellern – und auch dem ansonsten hoch geschätzten Dirigenten – Sedativa verabreicht hätte. Gut zweihundertfünfzig Minuten Händel im „passo di lumaca“, zu Deutsch Schneckentempo – was zu viel ist, ist zu viel!

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