Forsythe meets Berlin
Ein Fotoblog von Dieter Hartwig
Spezialitäten aus Balanchines Delikatessenhandel
Als ab 1976 die ersten Werke George Balanchines ins Repertoire des damaligen Staatsopernballetts gelangten, „Sinfonie in C“, dann „La Valse“ und „Die vier Temperamente“, war das wie ein Tauchgang in die Welt der kristallklaren Bewegung, eine Badekur in der Schönheit des puren Tanzes, den ein ästhetisches Fegefeuer von allem äußerlichen Tand gereinigt hatte. Die Sensation jener ersten Begegnungen ist dem Genuss am schier unerschöpflichen Erfindungsreichtum dieses genialen Choreografen gewichen. Knapp drei Jahrzehnte später zückt nun das Staatsballett Berlin für die letzte Premiere seiner ersten Saison wiederum den Trumpf Balanchine. Vier Werke aus dem 425 Titel umfassenden OEuvre des in Petersburg geborenen, bei Diaghilew in Paris künstlerisch erwachten, in New York gereiften Meisters präsentiert eine Soiree an der Deutschen Oper, die auch den Standard der Kompanie um Vladimir Malakhov ausstellt. Dass sie gleichsam 32 Jahre einer choreografischen Entwicklung reflektiert, macht sie auch zu einem historisch spannenden Dokument.
Aus den abendlichen Proben mit der Theatertanzklasse seiner neu gegründeten New Yorker Schule entwickelte Balanchine allmählich und fast beiläufig eine Choreografie, die heute Kultstatus besitzt. So kreativ lief damals, 1934, der Unterricht ab. „Serenade“ nach Tschaikowskys gleichnamiger Komposition für Streichorchester C-Dur besticht durch ihren elegischen Grundgestus und die Vielfalt der Raumformen, Keil, Kreis und Karree, bei maximaler Transparenz der Aufstellungen und Wechsel. Versunken stehen zu Beginn die Frauen in ihren Dreivierteltütüs auf Diagonalen und heben ablehnend eine Hand. Mehrfach wird dieses Motiv in dem Halbstundenwerk auftauchen. Der weibliche Engel, wie er hinter einem der beiden männlichen Solisten flügelgleich seine Arme flattern lässt, beschert jedoch keine Erfüllung. Alles Glück bleibt ein Traum, aus dem heraus am Ende des vierten Satzes die Ballerina mit trauervollem Geleit in die Helle einer besseren Welt hineingetragen wird. Elodie Puna verleiht ihr wehmütigen Glanz, Michael Banzhaf, der siegtrunkene Siegfried aus Béjarts „Ring um den Ring“, absolviert als Kavalier mit Anstand ein Rolle, auf der er nicht perfekt liegt.
Mit „Apollon musagète“ zur Musik Strawinskys hat Balanchine bereits 1928 seinen Stil kreiert. Schlackenlos und schnörkelfrei erzählt er darin von der Geburt des antiken Gottes und wie er die Musen der Dichtkunst, des Dramas und des Tanzes in ihr Amt weiht, mit ihnen flirtet, streitet, sich versöhnt und schließlich den Parnass als seinen angestammten Sitz erklimmt. Manche Aufführungen verzichten auf das Bild mit Apolls Geburt durch Leto, die dreißigminütige Miniatur gewinnt indes durch diesen Prolog. Wie der Choreograf die Hände des Quartetts sich scheinbar verwickeln und überraschend lösen lässt und was sich dabei an ausgeklügelten, feinst ziselierten Formen ergibt, ist schlichtweg atemberaubend. Beatrice Knop als augenfunkelnde, blitzende Terpsichore überragt alle, während Artem Shpilevsky in Präsenz, Rollenverständnis und Umgang mit Balanchines Bewegungswitz vom Gott des Lichts noch Lichtjahre entfernt umhertanzt.
Corinne Verdeil und Marcin Krajewski haben es da im „Tschaikowsky-Pas-de-deux“ insofern leichter, als jener Zehn-Minuten-Brennkörper aus dem Jahr 1960 lediglich Technik zündet. Wie furios allerdings, das wiederum ist die Schwierigkeit dieses Prunkstücks internationaler Galas. Souverän und straffer als je zuvor erobert sich Corinne Verdeil, ohnehin im Ruf eines Drehwunders, als tanzender Wirbelwind die Bühne. Ihr Partner Marcin Krajewsi, von seinem Solo „Les bourgeois“ aus dem Programm „Malakhov & Friends“ noch in lebhafter Erinnerung, imponiert wiederum durch fulminante Sprungtricks und abgefederte Landungen, überzeugt indes mehr durch moderne Gestaltungen denn als danseur noble.
Als der wusste sich im Finalteil Ronald Savkovic vorteilhaft zu positionieren. „Ballet imperial“ von 1941 feiert in drei Sätzen nochmals das, was Balanchine liebt: den Tänzerinnenkörper, den Adel des russisch-imperialen Balletts und Tschaikowskys Musik, hier dessen Klavierkonzert Nr. 2. Unter zwei maßvollen Lüstern und in paillettenübersäten Tütüs entfaltet sich vor dem obligaten blauen Hintergrund aus der Diagonalen, mit artigen Reverenzen der Geschlechter, aller Zauber raffiniert den Raum aufspannender, prismatisch sich verändernder Gruppenformationen. Das Auge tränkt sich an dieser Spezialität aus Balanchines Delikatessenhandel. Fast eine dreiviertel Stunde lang bestaunt man die Qualität der Gruppe, die doch „nur“ den Rahmen für den Star des Abends abgibt: Polina Semionova, unter ihrem Krönchen eine rundum strahlende Kronprinzessin, der jene Hommage an das Ballett auf den begnadeten Leib komponiert scheint. Saleem Abboud Ashkars konzertreife Werkinterpretation und das Orchester der Deutschen Oper, das unter Sebastian Weigles abendlang frisch musikantischem Dirigat aufblühte, bekamen zu Recht ihren Teil vom Jubel des Auditoriums ab.
Nächste Aufführungen: 7., 10.6.
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