Musterfall einer integrierten Opern-Ballettproduktion

Carl Nielsens „Maskerade“ bei den Bregenzer Festspielen

oe
Stuttgart, 24/07/2005

Die spektakulär gelungene Aufführung von Carl Nielsens „Maskerade“ bei den Bregenzer Festspielen (als Koproduktion mit Covent Garden, London) wird der von den Dänen als ihre Nationaloper reklamierten Komischen Oper aus dem Jahr 1906 wohl kein Entrée ins internationale Repertoire verschaffen. Ich finde das schade. Mir hat sie entschieden viel mehr Spaß gemacht als etwa Prokofjews „Verlobung im Kloster“ oder Egks „Revisor“, von Henzes „Jungem Lord“ ganz zu schweigen – und zwar als ein Exempel melancholisch unterfütterter Heiterkeit. Dabei handelt sich‘s um die Veroperung einer Komödie von Ludvig Holberg (1684 – 1754), den die Dänen als ihren Molière verehren.

Es geht um die Liebeshändel ehrpusseliger Väter, die ihre Kinder miteinander verheiraten wollen, während die ganz andere Liebesabsichten verfolgen, weil sie sich bei einem Maskenball unerkannt in andere Partner verliebt haben. Im Finale, bei der Demaskierung, stellt sich dann freilich heraus, dass es sich bei beiden eben um die von den Vätern vorgesehenen Kandidaten handelt. Eine harmlose, mit allerlei Nebenfiguren und -aktionen ausgestattete Komödie – in der Nachfolge von Berlioz, Verdi, Busoni und Wolf-Ferrari, ein zartes Gespinst, ein bisschen an den etwas späteren „Rosenkavalier“ erinnernd.

Es ist eine Komödie, die laufend in Tanz ausbricht. So sehr haben David Pountney als Regisseur und Renato Zanella als Choreograf hier Hand in Hand gearbeitet, dass es schwerfällt zu sagen, was vom einen und was von dem anderen stammt. Nicht nur probieren die Solisten immer mal wieder ein paar Tanzschritte und auch richtige Gesellschaftstänze wie Cotillon und Folie d‘Espagne, geistern fortwährend die Nachfolger der Commedia dell‘arte durchs Geschehen, sondern es gibt auch zwei musikalisch hübsche Tanzeinlagen, in die auch der Chor einbezogen ist, und die Pountney und Zanella mit allen möglichen ironischen Aperçus bis zu Marilyn, Nosferatu, Madonna und Elvis gewürzt haben.

Das geschieht ohne jeglichen stilistischen Bruch, animiert aber unweigerlich zum fußtappenden Mitmachen. Ich kann mich nicht daran erinnern, Zanella je zuvor so heiter, locker, spritzig und kapriziös choreografieren gesehen zu haben (ganz gewiss nicht in den Einlagen beim Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker). Rauschender Szenenapplaus. Von mir aus hätt‘s gern ein Dacapo geben können! Auch an der Robert Carsen-Inszenierung des „Troubadour“ am folgenden Abend auf dem See ist das „Tanzensemble der Bregenzer Festspiele“ beteiligt. Zwanzig Tänzer aus halb Europa, zusammenengagiert wohl aus allen möglichen Musicalproduktionen.

Dies ist eine sehr moderne Inszenierung – die meisten werden irgendwelche Abbildungen der monumentalen Bühnenarchitektur von Paul Steinberg in den Zeitungen gesehen haben – eine schrottreife Ölraffinerie, in der es um Machtkämpfe rivalisierender Clans geht. Die Choreografie – sehr schlagkräftig – stammt von Philippe Giraudeau (schon beim Verdi-„Maskenball“ und bei „Bohème“ in Bregenz dabei). Sie erreicht ihren Höhepunkt in dem martialischen Soldatenchor zu Beginn des dritten Aktes, den Carsen/Giraudeau als soldatisches Kampftruppen-Training mit zahlreichen Kung-Fu-Anleihen arrangiert haben. Das sieht fabelhaft aus und wird wie von einer Elitetruppe gedrillt ausgeführt – und beschleunigt geradezu meinen sonst nicht unbedingt militaristischen Herzschlag.

Also Bregenz 2005 lohnt jeden Umweg – drinnen im Festspielhaus bei Nielsens „Maskerade“, aber auch draußen auf dem See beim „Troubadour“! Im Übrigen ist für 2006 eine Wiederholung des „Troubadour“ auf dem See (ab 20. Juli) und im Festspielhaus Debussys „Fall des Hauses Usher“ zusammen mit den beiden Balletten „Nachmittag eines Fauns“ und „Jeux“ (ab 6. August) angekündigt.

 

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