Tänzerischer Funkenflug aus dem Mato Grosso

Die brasilianische Companhia de Danca Deborah Colker

oe
Wolfsburg, 05/05/2005

Zum dritten Mal also die Movimentos, das internationale Festival der Autostadt. Ungebrochen der Publikumszuspruch und die Begeisterung derer, die aus dieser nicht gerade besonders tanzenthusiasmierten Region die meist jeweils vier Vorstellungen der eingeladenen Kompanien frequentieren. Und das erstaunt denn doch in diesen Zeiten, da überall äußerste Sparsamkeit angesagt ist. Und es erstaunt auch das kontinuierliche Engagement der Sponsoren, in diesem Falle also des Volkswagenwerkes. Dessen schrumpfende Bilanzen hatten schon befürchten lassen, dass in diesem Jahr, gemäß dem Motto „Geiz ist Geil“, auf Tanz-Sparflamme gekocht würde.

Doch davon kann nicht die Rede sein! Im Gegenteil: die Attraktivitäten überbieten einander, und dem Künstlerischen Leiter des Festivals, Bernd Kauffmann, ist das Kompliment zu machen, dass er und sein Team für das diesjährige Festival wieder ein ausgesprochen appetitanregendes Programm zusammengestellt haben. Das begann gleich turbulent mit der französischen Compagnie Montalvo-Hervieu und wird nach vier Wochen mit Spoerlis Zürchern enden, die Lin Hwai-mins „Smoke“ präsentieren – bekanntlich die erste Choreografie des inzwischen hochrenommierten Taiwanesen, die er für eine westliche Gruppe freigegeben hat.

Dazwischen kriegt Wolfsburg die Brasilianer der Truppe von Deborah Colker zu sehen, das Aterballetto, die Tero Saarinen Company, die Shen Wei Dance Arts und die kanadische Dave St-Pierre Compagnie. Das sind innerhalb von vier Wochen sieben international renommierte Truppen von den verschiedensten Kontinenten. Welche Stadt bei uns bietet das sonst schon in dieser Konzentration! Ich fahre zum zweiten Termin nach Wolfsburg, zu den Brasilianern von Deborah Colker, die bei uns ja nicht ganz unbekannt ist (sie hat ja auch schon mit dem BerlinBallett seligen Angedenkens gearbeitet), die mir aber bisher unbekannt war.

Ein speziell für Wolfsburg kreiertes Stück, „Nó“ (Knoten) wurde ein rauschender Erfolg. Und bestätigte alles das, was man von einem brasilianischen Tanzimport erwartet – als ob in Rio das ganze Jahr über Karneval sei: rassige Tänzer, 16 an der Zahl, darunter die Chefin höchstpersönlich, aufgeladen mit elektrizitätssprühendem Temperament, technisch formidabel (besonders die Männer), die schiere Lebenslust kommunizieren – und, wie denn auch nicht, unverhohlene Sexiness – und das alles eingebunden in eine tänzerische Show, vielleicht nicht vom Sophisticatesten, dafür aber von einer unverblümten Direktheit.

Zwei Stücke also, beide von rasant aneinander geschnittenen, ineinander übergehenden Kurzszenen, ungemein temporeich, Soli, Duos, Ensembles, viel polyphone, simultane Gruppen – beide bestimmt von den markanten Bühnenarchitekturen Gringo Cardias, beide zu wilden, aus den verschiedensten musikalischen Bereichen (natürlich viel Südamerikanisches, aber auch Ravel) gemixten Klangcollagen von Berna Ceppas. Das erste dominiert von Dutzenden, aus dem Schnürboden herabhängenden, gebündelten Seilen, die in der raffinierten Beleuchtung von Jorginho de Cavalho später, aufgelassen, wie ein wildwuchernder Regenwald wirken. Das zweite dann mit einer roten Kletterbox mit durchsichtigen Plexiglaswänden.

Das Erste ein ziemlich deftiges Bondage-Spiel der Körperverknotungen mit Seilen und elastischen roten Bändern – von einer geradezu unerschöpflichen, bizarren Phantasie. Das zweite mit den gewagtesten Klettertouren, Balancen und Abstürzen, auch dies wieder in einem geradezu rauschhaften Tempo, introduziert von der Dame Deborah selbst. Das Ganze ein fulminanter, die Sinne betörender Mix aus (wenig) Klassik, Modern Dance, Artistik, Pop, Techno, Samba, Funk und Sport – wie gesagt: in einem dammbruchartigen Tempo, so dass man hinterher wie benommen aus der 75-minütigen Vorstellung geht. Jedenfalls von unverkennbar iberoamerikanischer Identität.

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